Abstimmung der UNO-Vollversammlung: Der Fall Kosovo kommt vor Gericht
Serbien setzt bei der UNO-Generalversammlung durch, dass der Internationale Gerichtshof prüft, ob die Unabhängigkeit des Kosovos rechtmäßig ist.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag muss die Frage klären, ob die im Februar dieses Jahres vollzogene einseitige Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien "in Übereinstimmung mit den internationalen Gesetzen" erfolgte. Von den 192 UNO-Staaten haben lediglich 48 Kosovo anerkannt. Mit der Beauftragung des IGH zu einem Rechtsgutachten in dieser Frage folgte die UNO-Generalversammlung in der Nacht zum Donnerstag einem Antrag Serbiens. Ein solches Gutachten des IGH ist zwar nicht rechtlich verbindlich, aber eine politisch gewichtige Stellungnahme.
Für den Antrag Serbiens votierte die nach der UNO-Charta erforderliche einfache Mehrheit von 77 der 157 Mitglieder der Generalversammlung, die an der Abstimmung teilnahmen. Darunter sind mit Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und der Slowakei auch jene fünf EU-Staaten, deren Regierungen Kosovo nicht anerkannt haben, weil sie dessen Abspaltung von Serbien für völkerrechtswidrig und für einen gefährlichen Präzedenzfall halten, auf den sich sezessionistische Bestrebungen in ihren Ländern berufen könnten. Lediglich sechs Staaten lehnten den serbischen Antrag ab: die USA, Albanien sowie die vier Pazifikinseln Mikronesien, Marshallinseln, Palau und Nauru. Die Bush-Regierung hatte zuvor vergeblich versucht, weitere Regierungen zu einem Nein zu bewegen. 74 Mitglieder der Generalversammlung enthielten sich der Stimme - darunter Deutschland und die 21 EU-Staaten, die Kosovo anerkannt haben.
Der Antrag der serbischen Regierung sei "der Versuch, die Souveränität und territoriale Integrität mit Diplomatie und internationalem Recht zu verteidigen", hatte Außenminister Vuk Jeremic in der Debatte der Generalversammlung erklärt. Belgrad werde "jede Entscheidung akzeptieren, die der IGH fällt". Nach dem Abstimmungssieg äußerte Regierungschef Mirco Cvetkovic in Belgrad die Erwartung, dass zumindest bis zur Vorlage des Rechtsgutachtens durch den IGH keine weiteren Staaten Kosovo anerkennen.
"Die Unabhängigkeit Kosovos ist entschieden und nicht rückgängig zu machen", erklärten hingegen Regierung und Präsident in Pristina in einer gemeinsamen Stellungsnahme. Der "zutiefst bedauerliche" Beschlussder UNO-Generalversammlung diene nicht der langfristigen Stabilität im Kosovo und der Region. Die Führung in Pristina erwarte, dass "trotz dieser UN-Entscheidung der Prozess der internationalen Anerkennung Kosovos fortgesetzt wird".
Bundeskanzlerin Angela Merkel und UNO-Botschafter Thomas Matusek hatten den Antrag auf ein Rechtsgutachten des IGH als "falsch" und "dem Fortschritt der Sache nicht dienlich" kritisiert. Deutschlands Enthaltung bei der Abstimmung begründeten sie mit dem "Respekt vor dem IGH". Die Bundesregierung sei weiterhin überzeugt, dass die Anerkennung Kosovos "richtig war", und sie hoffe, dass das IGH-Gutachten ihre "Interpretation des Völkerrechts" unterstützen werde.
VölkerrechtsexpertInnen bei der UNO und im Umfeld des IGH halten das für keineswegs ausgemacht. Denn im Völkerrecht gibt es kein Recht auf Sezession. Anerkannt wurde die Abspaltung einer Volksgruppe bislang nur in Fällen massiver, aktueller Unterdrückung durch die Zentralregierung. Im Fall Kosovo müssen die 15 RichterInnen des IGH nun die Frage beantworten, ob die bereits im Jahre 1999 durch den Krieg gegen Serbien beendete Unterdrückung der Albaner durch Belgrad die erst neun Jahre später vollzogene Abspaltung rechtfertigt. Das Verfahren wird voraussichtlich Jahre dauern.
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