Abstimmung der Delegierten zum Brexit:
Labour stimmt für zweites Referendum
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Abstimmung der Delegierten zum Brexit: Labour stimmt für zweites Referendum
Die Forderung nach einer neuen Brexit-Volksabstimmung in der Labour-Partei wird lauter. Proeuropäische Briten hoffen gar auf eine Abkehr vom EU-Austritt.
Steht einem zweiten Referendum kritisch gegenüber: Parteichef Jeremy Corbyn
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ap
Liverpooldpa | Die Delegierten des Labour-Parteitags haben am Dienstag mit überwältigender Mehrheit für die Option eines zweiten Brexit-Referendums gestimmt. Auch eine Abkehr vom EU-Austritt sollte nicht ausgeschlossen werden, forderte Brexit-Schattenminister Keir Starmer in einer Rede – und erhielt dafür tosenden Beifall. „Niemand schließt den Verbleib (in der EU) als Wahlmöglichkeit aus“, sagte Starmer.
Die Parteiführung um Parteichef Jeremy Corbyn steht einem zweiten Referendum kritisch gegenüber, aus Angst, linke Brexit-Wähler könnten der Arbeiterpartei ihre Stimme entziehen. Trotzdem beteuerte Corbyn, sich dem Willen der Delegierten zu beugen. Der Parteibeschluss lässt ihm aber viel Spielraum. Die Forderung nach einem zweiten Referendum wird darin nur als letztes Mittel betrachtet. In erster Linie will Labour auf Neuwahlen hinarbeiten.
Die Haltung der Opposition könnte entscheidend sein in der Frage, wie es mit dem EU-Austritt weitergeht. Die konservative Regierungschefin Theresa May verfügt nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. Ihre Pläne für den EU-Austritt werden von der EU bisher abgelehnt und sind auch in ihren eigenen Reihen höchst umstritten.
Doch auch für den Fall, dass sich May mit Brüssel rechtzeitig vor dem EU-Austritt am 29. März 2019 einig werden sollte, könnte es schwierig werden. Sie muss das Abkommen dem Parlament in Westminster vorlegen – doch eine Mehrheit dafür hat sie nicht sicher. Auf die Unterstützung von Labour könne sie sich nicht verlassen, machte Starmer auf dem Parteitag deutlich. Sollte May mit ihrem Brexit-Deal im Parlament scheitern, gelten eine Neuwahl oder ein zweites Referendum als möglich.
May will ungehinderten Binnenmarkt
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt die Pläne der britischen Regierung zum Brexit ab. „Man kann nicht zum Binnenmarkt gehören, wenn man nur in einem Teil zum Binnenmarkt gehören will, in drei anderen Teilen aber nicht“, sagte die CDU-Chefin am Dienstag beim Tag der Deutschen Industrie in Berlin.
May will für die Zeit nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union einen möglichst ungehinderten Binnenmarktzugang beim Handel mit Waren. Die mit dem EU-Binnenmarkt verbundene Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Beispiel aber lehnt sie ab.
Labour-Parteitag in Liverpool
In der Liverpooler Echo Arena findet seit Sonntag der alljährliche Labour-Parteitag statt. Rund 13.000 Parteifunktionäre und -anhänger halten sich aus diesem Grund in der Stadt an der Merseyside auf.
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So mancher Parteitagsdelegierte könnte auch als Konservativer durchgehen. Dabei hat sich die Labour-Party fest vorgenommen, die tief zerstrittenen Tories unter Premierministerin Theresa May durch vorzeitige Neuwahlen aus der Regierung zu jagen.
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Nach vorzeitigen Neuwahlen, so hofft die Parteiführung, sitzt Labour selbst am Brexit-Verhandlungstisch in Brüssel und wird einen besseren Austrittsdeal mit der EU schließen. Doch vielen Labour-Mitgliedern genügt diese Aussicht nicht. Sie wollen ein zweites Referendum – mit der Option für einen Verbleib in der Union.
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5.000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Liverpool für ein neuerliches Votum. Dazu aufgerufen hatte das parteiübergreifende Bündnis People's Vote.
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Der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna, eines der prominenten Gesichter von People's, befand sich ebenfalls unter den Demonstranten. Er ist einer der schärfsten Gegner des Brexit-Kurses seiner Parteiführung, Umunna kritisiert aber auch ihren Linksruck in der Wirtschaftspolitik. Ihm wird nachgesagt, er wolle bald mit anderen Zentristen eine neue Partei gründen.
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Die Referendums-Befürworter können nur halb zufrieden sein. Am Dienstag stimmte der Parteitag einem Antrag zu, wonach Neuwahlen weiter Priorität haben. Nur wenn diese nicht zu erreichen seien, käme ein zweites Votum in Betracht. Schattenfinanzminister John McDonnell hatte danach angefügt, für einen Brexit-Exit könne auf dem Abstimmungszettel kein Platz sein.
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John McDonnell ist auch für den wirtschaftspolitischen Linksschwenk Labours verantwortlich. Der Corbyn-Vertraute strebt im Falle eines Wahlsiegs die Vertaatlichung der Versorgungsdienste an. Auf einer Konferenz am Rande des Parteitags lässt er sich von einer Vertreterin der Stadtregierung Madrids die Begrenzungen linken Handelns in Staatsinstitutionen erklären.
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Am Montagabend versuchten Anhänger des sogenannten Acid Corbynism auf der „Momentum“-Konferenz, den Besuchern ihres Workshops dabei zu helfen, die eigenen postkapitalistischen Träume freizusetzen. Die Veranstaltung wurde tanzend beendet. Die Musik besorgte das DJ-Duo All Hands On Deck aus Manchester.
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Die Konferenz „The World Transformed“ wurde von Momentum organisiert, der Unterstützerorganisation der Corbynistas. Vom rechten Labour-Flügel wird ihr oft vorgeworfen, sektenähnlich verfasst und von Trotzkisten unterwandert zu sein. Diane Abbott, Schatteninnenministerin und auch Weggefährtin Corbyns, bekam beim Auftritt auf der Konferenz am Dienstag viel Beifall.
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Diese Ladies aus den nordenglischen Städten Wigan und Wakefield haben die Nacht woanders verbracht. Sie machten sich am Dienstag vor der Echo Arena für eine stärkere Repräsentanz von Frauen bei Labour stark. Der Antrag auf die Wahl einer Vizevorsitzenden wurde aber zurückgezogen – aus Angst, dass es eine europhile Kandidatin vom rechten Flügel werden könne.
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Der Parteichef scheint sich auf der Straße wohler zu fühlen, als auf den Fluren des Parteitags, wo er mit ungemütlichen Themen wie Antisemitismus in den eigenen Reihen konfrontiert wird. Am Montagnachmittag besuchte er die BewohnerInnen von GranbyFourStreet in Liverpool. Die hatten sich jahrzehntelang gegen den Abriss ihres Viertels durch die Behörden gewehrt.
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Heute ist GranbyFourStreet ein Musterbeispiel gelungener Sanierung von unten. Rund anderthalb Stunden hielt Corbyn sich dort auf – schließlich wollten alle Anwesenden ein Selfie mit ihm ergattern.
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"Weiß der Himmel, warum Theresa May noch Premierministerin ist": Jeremy Corbyn im frisch gekachelten Bad von einem der Häuser von GranbyFourStreet. Am Mittwoch Mittag ist er mit seiner Rede auf dem Parteitag dran.
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Wer hochfliegt, kann tief fallen. Das wissen die Scousers - so werden die Bewohner Liverpools genannt - nur zu allzu gut.
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Merkel sagte, bei den Brexit-Verhandlungen gehe es im Herbst in die entscheidende Phase. In den nächsten sechs bis acht Wochen stehe „härteste Arbeit“ bevor. Es sei aber derzeit unklar, was Großbritannien eigentlich möchte. Vorstellbar sei ein „sehr intensives“ Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien.
May war mit ihren Vorschlägen zur Gestaltung des Brexits bei einem EU-Gipfel in Salzburg vorige Woche auf Ablehnung gestoßen. Sie wertete dies als Affront und verlangte neue Vorschläge aus Brüssel.
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