Abschiedsdebatte im Bundestag: Schon im Wahlkampfmodus
In seiner letzten Sitzung debattiert der alte Bundestag alles – von Trump bis zum Diesel. Manche nutzten die Gelegenheit zum Angriff
Wegen ihres besonderen Verhältnisses fände er „ein paar persönliche Worte zum Abschied vielleicht doch angebracht“, sagte der ehemalige Linksfraktionsvorsitzende in Richtung des scheidenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert.
Mit großer Hochachtung sprach Gysi von dem 68-jährigen Christdemokraten, der jetzt nach 37 Jahren den Bundestag verlassen wird. „Sie waren nie parteiisch und nie der verlängerte Arm irgendeiner Koalition“, lobte ihn Gysi. Als Parlamentspräsident habe sich Lammert stets auch für die Rechte der parlamentarischen Minderheit im Bundestag eingesetzt.
„Wenn eine Mehrheit meint, die Kontrolle über sich reduzieren zu dürfen, hat sie die Demokratie nicht verstanden“, sagte Gysi. „Sie haben sie verstanden.“ Sichtlich gerührt verfolgte Lammert die Danksagung. Ein Hauch von Wehmut wehte durch den Berliner Reichstag.
Lammert sagt Tschüss
Zu Beginn der Sitzung am Freitagmorgen hatte Lammert eine kleine Abschiedsrede gehalten. Im Bundestag schlage zwar das „Herz der Demokratie“, allerdings sei er „nicht immer so gut, wie er sein könnte oder auch sein sollte“, sagte Lammert. So sei der Eifer bei der Kontrolle der Regierung mitunter zu wenig ausgeprägt.
Außerdem kritisierte Lammert, der seit 2005 dem Bundestag vorsteht, einen zu fahrlässige Behandlung des Grundgesetzes. „Wir haben uns einen allzu großzügigen Umgang mit unserer Verfassung angewöhnt und sie häufiger und immer umfangreicher – regelmäßig auch komplizierter – verändert“, sagte er. Als erstes Beispiel nannte er die Asylgesetzgebung in 1990er Jahren.
Spitz bemerkte Lammert, es gebe zwar im Parlament „zweifellos immer wieder herausragende Debatten, aber bei selbstkritischer Betrachtung sollten wir einräumen, dass immer noch zu häufig geredet und zu wenig debattiert wird“. An den künftigen Bundestag appellierte er, den „Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten“ zu suchen.
Zwischen der letzten Rede Norbert Lammerts und Gregor Gysis Dankesworten machte der Wahlkampf für ein paar Stunden Station im Bundestag. Bis auf den derzeit noch nicht dem Parlament angehörigen Martin Schulz schickten die Parteien ihr Spitzenpersonal ans Redepult.
Kandidaten zeigen Rhetorikkünste
Unter dem Tagesordnungspunkt „Debatte über die Situation in Deutschland“ ließ sich keine und keiner die Gelegenheit entgehen, ihre Rhetorikkünste zu demonstrieren: von Bundeskanzlerin Angela Merkel über die vier SpitzenkandidatInnen von Grünen und Linkspartei bis zum SPD-Außenminister Sigmar Gabriel.
Es ging kreuz & quer: Automobilindustrie und Dieselskandal, Verteidigungsausgaben und Rüstungsexporte, Russland-Ukraine-Krim, Digitalisierung, Europa und Griechenlandkrise, Flüchtlinge, Rechtspopulismus, Terroranschläge, Bildung, Rente, Trump, Arbeitslosigkeit – kaum ein Thema blieb unerwähnt. Der Erkenntnisgewinn: Am 24. September wird gewählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen