Abschied von Patriarch Pavle: Beerdigung als Machtdemonstration
Die serbisch-orthodoxe Kirche gestaltet Beerdigung ihres Oberhauptes als eine Machtdemonstration gegenüber dem Staat. Die Frage der Nachfolge ist derzeit noch völlig offen.
BELGRAD taz | Das Zentrum Belgrads ist für den Verkehr gesperrt. Rund 200.000 Menschen folgen am Donnerstag bedächtig dem offenen Sarg, in dem der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche, Pavle, liegt. Orthodoxe Würdenträger führen die Kolonne zur Kathedrale des Heiligen Sava.
Es ist der größte moderne orthodoxe Kirchenbau der Welt. Nach dem Ende des Kommunismus, im zerfallenden Jugoslawien, sollte der Bau das orthodoxe Serbentum glorifizieren und angesichts des ideologischen Vakuums den Serben zur Wiederentdeckung einer eigenen Identität verhelfen.
Der Totenmesse wohnt die gesamte serbische Regierung bei. Angereist sind auch Gäste aus dem Ausland. Der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. zelebriert den Trauergottesdienst. Redner erinnern an die Bescheidenheit von Pavle, den die Serben auch den "wandelnden Heiligen" nannten. Sie liebten ihren Patriarchen, der seine Schuhe selbst reparierte und mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhr.
Während der dreitägigen Staatstrauer sollen rund eine halbe Million Menschen dem am Sonntag verstorbenen Patriarchen die letzte Ehre erweisen. Stundenlang warteten sie in der Schlange, um die Ikonen über dem offenen Sarg, das Kreuz in der Hand des Toten, das Pavle selbst aus Holz geschnitzt hatte, küssen zu können.
Als geschmacklos, gar blasphemisch wurde vereinzelte Kritik zurückgewiesen, dass das Gesetz die öffentliche Aufbahrung von Leichen verbiete und dass das massenhafte Abküssen der Ikonen während der Schweinegrippe unvernünftig sei.
Schulen und Universitäten sind während der Staatstrauer geschlossen, die Regierung empfehlt Arbeitgebern, ihren Angestellten am Tag der Beisetzung des Patriarchen freizugeben. Der Staat organisiert kostenlos den Transport aus allen Landesteilen nach Belgrad.
Für den Professor der philologischen Fakultät, Ljubisa Rajic, geht das alles zu weit: "Der Staatsapparat lässt eine Klerikalisierung des Staates zu", kritisiert er. Die Religion werde mit der Nation gleichgestellt und die Maximen eines säkularen Staates missachtet.
Die imposante Beisetzung von Patriarch Pavle ist gleichzeitig eine Machtdemonstration der serbischen orthodoxen Kirche, die ihre Ambition, sich in staatliche Angelegenheiten einzumischen, nicht verheimlicht. Erst vor wenigen Tagen holte sich Serbiens Außenminister, Vuk Jeremic, den Segen der Heiligen Synode der serbisch-orthodoxen Kirche für den Besuch von Staatspräsident Boris Tadic im Vatikan.
Frustrierender als diese unterwürfige Geste der Staatsmacht gegenüber der Kirche war für bürgerliche Gruppen, dass die meisten Serben das als völlig normal ansahen.
Hinzu kommt, dass ein Teil der serbischen Kirche in den großserbischen Nationalismus in den 1990er-Jahren eingebunden war. Auch Patriarch Pavle versäumte es, die serbische Soldateska während des Krieges öffentlich zu verurteilen. Die Kirche wandte sich erst gegen Slobodan Milosevic, als dieser die von Radovan Karadzic angeführten bosnischen Serben im Stich ließ.
In einem von sozialer Misere geprägten Staat, in dem die Menschen immer weniger Hoffnung in die als korrumpiert verrufenen staatlichen Institutionen setzen, wittert die Kirche ihre Chance, den orthodoxen Glauben als die herrschende staatliche Ideologie zu etablieren.
Unter ständigem Druck von Neuwahlen liebäugeln Politiker aller Farben mit orthodoxen Würdenträgern, um sich die Gunst der Gläubigen zu sichern. Doch wer die Nachfolge Pavles antritt, ist offen. Der Kampf um seine Nachfolge zwischen der konservativen und etwas moderneren Fraktion hat schon lange längst begonnen.
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