Abschiebungen: Schon wieder rechtswidrig
Das Bundesverfassungsgericht rüffelt das Amtsgericht Hannover. Der Anwalt hält 40 Prozent aller Anordnungen von Abschiebehaft für rechtswidrig.
![](https://taz.de/picture/224001/14/c_N3_abschiebung.jpeg)
Erneut hat das Bundesverfassungsgericht die Anordnung von Abschiebehaft in Niedersachsen beanstandet. In einer am Dienstag vom Flüchtlingsrat veröffentlichten Entscheidung wird das Amtsgericht Hannover gerügt. Es habe vor der Verhängung von Abschiebehaft gegen einen Georgier den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt.
Der 1974 geborene Georgier reiste Anfang 2008 aus der Slowakei nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Zuerst versuchten die Behörden, ihn in die Slowakei zurückzuschicken. Als dies nicht gelang, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ ab und erklärte den Mann für ausreisepflichtig.
Dieser Beschluss wurde dem Georgier aber wahrscheinlich nie zugestellt oder mitgeteilt. Dennoch beantragte das Hannoversche Ausländeramt einige Tage später Abschiebehaft. Und das Amtsgericht fasste im November 2009 auch einen entsprechenden Beschluss. Der Mann war inzwischen in die Niederlande ausgereist, dort festgenommen worden und landete Tage später wieder in Deutschland – in Abschiebehaft. Inzwischen ist er auch nach Georgien abgeschoben worden.
Sein Anwalt Peter Fahlbusch betrieb den Fall aber weiter und hatte jetzt beim Bundesverfassungsgericht Erfolg. Eine Kammer aus drei Richtern – unter ihnen der saarländische Ex-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) – stellte fest, dass die Festsetzung der Abschiebehaft die Grundrechte des Georgiers verletzte. Die Amtsrichterin aus Hannover habe das „Gebot eigenverantwortlicher Sachprüfung“ verletzt, das bei Maßnahmen der Freiheitsentziehung besonders schwer wiege. Die Richterin hatte nie richtig geprüft, ob der Georgier überhaupt ausreisepflichtig war und ob ihm der entsprechende Beschluss bekanntgemacht wurde.
Ob der Mann nun ausreisepflichtig war oder nicht, das ließen die Verfassungsrichter letztlich offen. Ihnen ging es um die schlampige Arbeitsweise des Gerichts. Es sei „nicht im Ansatz“ seiner Prüfungspflicht nachgekommen. Dabei war die Sache nur mäßig eilig, weil noch fünf Tage vergingen bis der Georgier aus den Niederlanden nach Deutschland zurückkam.
Anwalt Fahlbusch erkennt in solchen Nachlässigkeiten System. Er habe in den letzten fünf Jahren immerhin zehn Mal erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen das Land Niedersachsen eingelegt. Nach seiner Statistik sind rund 40 Prozent aller Anordnungen von Abschiebehaft rechtswidrig. Angesichts von durchschnittlich 27 Tagen in der Abschiebehaft seien hier wohl „Tausende von rechtswidrigen Hafttagen“ zusammengekommen.
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