piwik no script img

Abschiebung von Flüchtlingen in BerlinDie Familie spielt keine Rolle mehr

Der CDU-Innensenator profiliert sich mit Abschiebungen: Selbst Familien werden entzwei gerissen, wie der Fall von Havere Morina zeigt.

So sieht leider die Realität für viele Flüchtlinge aus Foto: dpa

Sie sind Schwestern, und sie sagen beide fast den gleichen Satz: „Ich will eine Zukunft haben mit einer guten Ausbildung, und die Freiheit, zu tun, was ich möchte.“ Die Ältere der beiden, die 15-jährige Havere Morina, sagt diesen Satz nach einer Probe im Jugendtheaterbüro Moabit.

Die 14-jährige Fatime Morina ist in Hodonoc, einer kleinen Stadt im Kosovo, als sie am Telefon den gleichen Wunsch äußert. Bis Anfang Mai lebten beide Schwestern noch zusammen mit ihrer Familie in Berlin. Doch die Familie, die 2014 aus dem Kosovo hier her gekommen war, hatte nur eine Duldung. Am Morgen des 10. Mai kam die Polizei in ihre Wohnung, um sie abzuschieben.

Dass Havere noch in Berlin ist, verdankt sie einem Zufall. Sie sollte an dem Tag ihre Abschlussprüfung in Mathe schrei­ben, hatte mit einer Freundin gelernt und dort übernachtet. Daher war sie nicht Zuhause, als die Polizei klingelte. Die entschied daraufhin, dass die Mutter in Berlin bei Havere bleiben solle. Den Vater und die vier jüngeren Geschwister nahm sie mit – bereits wenige Stunden später saßen sie in einem Flugzeug Richtung Kosovo.

„Mein Bruder fragt ständig nach meiner Mutter“, sagt Havere. Sie wirkt äußerlich ruhig, nur die Art, wie sie ihre Finger zusammendrückt, verrät Nervosität. Und Fatime erzählt, dass ihr 7-jähriger Bruder nachts panisch aufwache. „Mein Vater weiß nicht, was er machen soll. Wir können nicht hier im Kosovo leben. Aber wir müssen irgendwo zusammen sein“, sagt sie.

Rechtswidrige Abschiebung

Weil die Familie getrennt wurde, sei die Abschiebung rechtswidrig, meint die Rechtsanwältin Anya Lean. Sie hatte noch am Tag der Abschiebung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt, die sei aber ins Leere gelaufen. Die Innenverwaltung hingegen sieht darin keine Rechtsverletzung. Die Ausländerbehörde sei in der Regel bestrebt, Familien gemeinsam abzuschieben. Wenn alle Familienmitglieder „vollziehbar ausreisepflichtig“ seien, aber nicht alle angetroffen würden, seien Familientrennungen im Einzelfall zulässig, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.

Immer mehr Abschiebungen

Bis Ende Mai sind laut Senatsverwaltung für Inneres rund 850 Menschen aus Berlin abgeschoben worden – und damit mehr als im gesamten Jahr 2015, in dem rund 800 Menschen abgeschoben worden waren. 2014 waren es 600. Innensenator Frank Henkel (CDU) strebt an, bis Ende des Jahres 1.200 Menschen abzuschieben. (usch)

Havere sagt, sie habe nun Angst, zur Schule zu gehen. „Aber ich möchte hier bleiben und meinen Abschluss machen.“ Beide Schwestern waren im Fußballverein und Theatergruppen aktiv. Fatime sagt: „Hier kann ich nichts machen, wie ich es in Deutschland gemacht habe. Ich bin wie festgenommen – nur zu Hause.“ In der Schule sei sie als „Asylant“ beschimpft worden sei, auch weil sie ein Kopftuch trage. „Geh nach Arabien, arbeitest du beim IS?“, hätten Schüler zu ihr gesagt. Ihre Familie sei im Kosovo isoliert, sie hätten keine Freunde oder Unterstützer. Im Gegenteil: Ein Bruder des Vaters wolle sie und ihre Schwestern zur Heirat mit seinen Söhnen zwingen.

Der Flüchtlingsrat kritisiert nicht nur, dass die Zahl der Abschiebungen gestiegen ist – die würden außerdem schneller durchgeführt. Es häuften sich die Fälle, in denen fraglich ist, ob alle rechtlichen Vorgaben eingehalten würden. Rechtsanwälten bliebe wenig Spielraum, die Rechte ihrer Mandanten unter Zeitdruck zu vertreten. „Wir versuchen dann mit einem Feststellungsantrag an Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht nachzuweisen, dass eine Abschiebung rechtswidrig war“, erklärt Anwältin Lean. Dann könnten abgeschobene Menschen theoretisch auch nach Deutschland zurückgeholt werden.

Sobald die Menschen Deutschland verlassen hätten, seien die rechtlichen Möglichkeiten eingeschränkt: „Oft scheitern Klagen, weil die abgeschobenen Menschen keine Adresse haben, wenn sie etwa nach der Abschiebung obdachlos werden“, erklärt Lean. Dadurch sei eine rechtliche Vertretung kaum gewährleistet. Zusätzlich zur verschärften Abschiebepraxis steige der Druck auf Menschen mit Duldung, ihrer freiwilligen Ausreise zuzustimmen. Auch darin sehen Rechtsanwälte ein Problem, da die Betroffenen nicht immer über alle ihre Rechte informiert würden.

„Theater X“

Die Gruppe Theater X aus Moabit tritt mit ihrem Stück „Was glaubst du, Aishe“ am Donnerstag um 10 Uhr beim Festiwalla, dem fünften Festival des Jugendtheaterbüros Berlin auf.

Unter dem Thema „Der Himmel auf Erden? Glaube, Wissen, Widerstand“ spielen vom 5. bis 7. Juli elf Jugendtheatergruppen aus dem gesamten Bundesgebiet in der UfaFabrik. (usch)

„Der jetzige Innensenator will sich einen Namen mit Abschiebungen machen“, sagt Walid Chahrour vom BBZ, dem Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und MigrantInnen. „Mit dem früheren Innensenator war es zumindest immer möglich, ins Gespräch zu kommen. Henkel kommuniziert mit niemandem. In der Vergangenheit waren 70 Prozent der Fälle, die die Härtefallkommission bearbeitet hat, meistens auch erfolgreich. Jetzt sind es nur noch 30 Prozent.“

Das BBZ hat inzwischen eine Petition dafür gestartet, dass Havere in Berlin bleiben kann. Auch unterstützen sie die junge Frau dabei, einen Ausbildungsplatz in Berlin zu finden – in der Hoffnung, dass die Abschiebung dann ausgesetzt wird.

Haveres Duldung wurde bis zum 18. Juli verlängert. Wenn ihre Gruppe am 7. Juli bei dem Jugendtheatertreffen Festiwalla auftritt, kann sie dabei sein. Wann sie die Mathe-Prüfung nachholen kann, ist genauso unklar, wie die Frage, ob sie für ihre Ausbildung hier bleiben darf.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Die kurzfristige Trennung von Familien ist nach der derzeit geltenden Rechtslage entgegen der Auffassung der Rechtsanwältin wohl nicht zu beanstanden (siehe Urteil VG München, Beschluss vom 5. Mai 2014, Az. M 11 S 14.50165). Da die Abschiebung von Mutter und Tochter offensichtlich kurzfristig nachgeholt werden soll, ist die Entscheidung der Behörden wahrscheinlich vollkommen in Ordnung. Vor dem Hintergrund des hohen Aufwandes, der mit einer Abschiebung grundsätzlich verbunden ist, sollte meines Erachtens auch in Zukunft wie im geschilderten Fall verfahren werden. Andernfalls wären es gerade Zufälle wie diese, welche Abschiebungen noch weiter erschweren würden.

     

    Auch eine Verlängerung der Duldung von Mutter und Tochter sollte (auf Basis der Daten und Angaben des Artikels) nicht gewährt werden, da hierdurch die Trennung der Familie unnötig verlängert werden würde.

    • @DiMa:

      Wie kann man das eigentlich so toll finden, dass Menschen in teils unsichere Herkunftsländer abgeschoben werden? Oder in Herkunftsländer, wo sie eine unsichere Zukunft erwartet?

       

      Sicher kann Deutschland nicht jeden Flüchtling dieser Welt aufnehmen, aber ausreichend Kapazitäten für weitere Aufnahmen sind in Deutschland ( und in Europa sowieso) vorhanden.

      Aber dass du hier so pro-Abschiebung bist (wie ganz viele andere deutsche auch) ist immer ganz seltsam für mich... Man sollte doch eigentlich versuchen, so vielen wie irgend möglich zu helfen...

      • @dani wolf:

        Ich finde es nicht toll, dass Menschen abgeschoben werden müssen. Mir wäre es viel lieber, wenn die Betroffenen freiwillig die Ausreiseverfügung befolgen würden.

         

        Angesichts der Zuwanderungszahlen der letzten beiden Kalenderjahre bin ich der Ansicht, dass die Kapazitäten längst ausgeschöpft sind. Gerade deshalb ist es wichtig, dass nur Menschen mit anerkanntem Schutzbedürfnis zun uns kommen und bei uns bleiben und nach Wegfall des Fluchtgrundes wieder in die Heimatländer zurück gehen.

         

        Mit meinem Kommentar wollte ich lediglich dem Eindruck des Artikels entgegentreten, dass die Behörden rechtswidrig gehandelt haben könnten. Einzige rechtswidrige Handlung aus dem Artikel ist der weitere Verbleib der beiden Familienmitglieder in der Bundesrepublik trotz entgegenstehender Verfügung.

         

        Für die Folgen, die sich aus der Trennung der Familie ergeben sind ungeachtet der jeweiligen Motive oder des jeweiligen Auftrages ausschließlich Mutter, Tochter und alle im Artikel genannten Unterstützer verantwortlich. Die Mutter könnte diesen Zustand jederzeit durch Ausreise beenden!