Abschiebung angeordnet: Mit gespaltener Zunge
Der SPD-Senat hatte den Lampedusa-Flüchtlingen versprochen, sie nicht abzuschieben, solange der Antrag auf Aufenthalt läuft. Für einen 24-Jährigen gilt das nicht.
HAMBURG taz | Trotz des Versprechens, die Lampedusa-Flüchtlinge, die sich mit Namen bei den Behörden gemeldet haben, nicht abzuschieben, solange das Aufenthaltsverfahren läuft, hat der erste Flüchtling nun eine Abschiebeanordnung erhalten.
Eigentlich ist die Sache klar geregelt. Nach monatelangen Protesten gegen die harte Linie des Scholz-Senats – der lange mit Razzien und Straßenkontrollen eine Eskalation des Konflikts befeuerte – machte Innensenator Michael Neumann (SPD) der Nordkirche im Oktober 2013 ein Zugeständnis, in dem er eine – andernorts selbstverständliche – aufschiebende Wirkung für laufende Verfahren einräumte. Von da ab betonte er gebetsmühlenartig: Wer sich bei den Behörden mit Namen meldet, bekommt eine „klare, transparente Einzelfallprüfung“ und die Chance auf ein Aufenthaltsrecht.
Innerhalb der Flüchtlingsgruppe gab es von da an unterschiedliche Vorstellungen über das weitere Vorgehen. Die Sprecher und viele Mitglieder der Lampedusa-Gruppe lehnten diesen Weg ab und hielten an der geforderten Gruppenlösung nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetz fest – weil sie kein Vertrauen in den Senat hatten, dass dieser ihre Identitäten nicht nur deshalb haben will, um sie anschließend abzuschieben.
Abdullah M. gehörte zu denen aus der Gruppe, die sich auf das Versprechen des Senats verließen. Er meldete sich bei der Ausländerbehörde. Das bestätigt auch Gruppen-Sprecher Asuquo Udo gegenüber der taz. Anne Harms von der kirchlichen Hilfsstelle für Flüchtlinge „Fluchtpunkt“ berät den 24-jährigen Mann aus Ghana, der in Libyen gearbeitet hat und vor dem Krieg nach Europa flüchtete. „Die Abschiebeanordnung für Abdullah M. kommt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“, sagt sie. Diese sei aber älter als die Vereinbarung zwischen Kirche und Senat. „Es wäre eine ausgesprochene Härte“, weil M. auf die Zusage des Senats vertraut hätte. Diese müsse Bestand haben, so Harms. Ob es zur Abschiebung kommt, wird am 16. Juni im Eingabenausschuss verhandelt.
Nach über einem Jahr mit Protesten hat sich besonders die Situation der Flüchtlinge, die sich nicht auf das Asylverfahren eingelassen haben, wieder zugespitzt.
Nachdem die letzten 24 Flüchtlinge Anfang der Woche die Unterkünfte in den Containern auf dem Kirchengelände verlassen und vor einigen Wochen das solidarische Winternotprogramm beendet haben, sind viele von ihnen wieder auf der Straße.
Für ein Bleiberecht demonstrierten mehr als 500 Menschen am Samstag in der Innenstadt und besetzten mehrere Stunden den Rathausmarkt, anfangs noch mit Duldung der Polizei.
Am Donnerstag kommen Sprecher der Gruppe zu Gesprächen ins Rathaus. Weitere Proteste sind in Planung.
Offenbar gibt es nicht nur in der Lampedusa-Gruppe es unterschiedliche Vorstellungen, wo es lang gehen soll: Auf taz-Anfrage betont die Innenbehörde, sie fühle sich „selbstverständlich weiter an das gebunden, was zugesagt wurde“, sagt Sprecherin Swantje Glismann. Doch wenn eine bestandskräftige Abschiebungsanordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vorliegt, sind Hamburgs Behörden an diese Entscheidungen gebunden. Während die Innenbehörde der Nordkirche und „Fluchtpunkt“ am Dienstag noch einmal zusicherte, dass es keine Bestrebungen gebe, M. abzuschieben, schießen Mitarbeiter der Ausländerbehörde quer.
Gegenüber „Zeit“ Online und auf taz-Anfrage wirft ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde die Frage auf, ob im Falle einer Ausreise die Voraussetzungen der Gruppenzugehörigkeit überhaupt greifen.
M. war im Mai 2013 für ein paar Tage nach Griechenland gereist. Zu konkreten Einzelfällen in laufenden Eingabeverfahren will sich die Behörde zwar nicht äußern. Aber die generelle Haltung lautet: Aus- und Einreisen können dazu führen, dass die Behörde die Kriterien für die Gruppenzugehörigkeit bestreitet, heißt es aus der Ausländerbehörde.
Harms hält Abdullah M.s Reise nach Griechenland für das Verfahren nicht für relevant, weil die bereits im Mai 2013 und damit noch vor der behördlichen Zusicherung lag.
Nun stellt sich die Frage, was die Behörde mit ihrem Vorgehen bezwecken will? Klar ist, dass die Argumentation auch andere Lampedusa-Flüchtlinge betreffen könnte. Viele waren in den vergangenen Monaten nach Italien gereist, um dort ihre EU-Papiere zu verlängern.
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