: Abschiebeschutz „von unten“
■ betr.: „CDU-Länder wollen Kur den weiterhin abschieben“, taz vom 1.7.94
[...] Es ist aus menschenrechtlicher Sicht unhaltbar, wenn weiterhin der zufällige Aufenthaltsort des Flüchtlings in einem CDU- oder SPD-regierten Land ausschlaggebend für die Abschiebung oder den weiteren Verbleib sein soll. Immer wieder wird von Regierungsseite auf eine angebliche innertürkische Fluchtalternative (im Westen der Türkei) verwiesen. In der letzten Zeit jedoch haben Flüchtlingsschicksale gezeigt, daß es auch in der Westtürkei keine hinreichende Sicherheit für abgeschobene Kurden gibt. Betroffene haben von Inhaftierungen und Folter berichtet.
Uns liegt ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Bremen vor, das eine westtürkische Fluchtalternative eindeutig bestreitet. Zusammenfassend heißt es dort: „Auch im Westen hat sich die Sicherheitslage inzwischen gravierend zuungunsten der kurdischen Zivilbevölkerung verändert.“ [Az.: 6/(2/l) AS 2/88 163-21731-87 v. 17.2.94) Das Urteil berichtet über die vielfältigen Formen der Verfolgung von Kurden auch in der Westtürkei. Unter anderem wird der ehemalige türkische Ministerpräsident Demirel mit den Worten zitiert: „Wenn sich im Osten das kurdische Volk komplett gegen die Armee stellt, dann halte ich es für legitim, wenn im Westen des Landes darauf eine totale Reaktion erfolgt“ (nach: Der Spiegel, 17.5.93). Diese Aussage und die entsprechende Praxis der türkischen Regierung zeigen, daß der Krieg gegen die PKK schon längst zu einem ethnischen Kampf gegen die Kurden insgesamt ausgeweitet worden ist.
Auch amnesty international hat im jüngsten Türkei-Bericht von Juni 1994 darauf hingewiesen, daß die Zahl der politischen Prozesse vor allem wegen „separatistischer Propaganda“ (Art. 8 des Antiterror-Gesetzes) „von einem Rinnsal zu einem Strom angeschwollen“ ist. Nicht zuletzt zeigt der am 26.6. aus Protest gegen die Regierungspolitik erfolgte Rücktritt des für Menschenrechtsfragen zuständigen Staatsministers Kahraman, wie es gegenwärtig um die Menschenrechte in der Türkei bestellt ist.
Das Vorgehen der CDU/CSU- Ministerpräsidenten ist angesichts dieser Faktenlage ein menschenrechtswidriger Skandal. Weiterer Protest ist nötig und gegebenenfalls Abschiebeschutz „von unten“. Zu hoffen bleibt, daß wenigstens die SPD-regierten Länder auch nach Ablauf der Sechsmonatsfrist einseitig den Abschiebestopp verlängern. Martin Singe, Komitee für
Grundrechte und Demokratie,
Köln
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