Abrisspläne für Denkmal: Streit um ein Gebäude
Dass sie im bestehenden Plenarsaal nicht mehr tagen mögen, darin sind sich die niedersächsischen Landtagsabgeordneten halbwegs einig. Manche wollen ihn abreißen - was wird nun aus dem Nachkriegsbau?
Die Frage spaltet nicht nur Hannover, sondern Denkmalschützer und Architekten weltweit: Soll der Plenarsaal des Niedersächsischen Landtags umgebaut werden - oder gleich ganz neu? Nachdem am Wochenende der Kölner Architekt Eun Young Yi als Sieger aus dem Architekturwettbewerb hervorgegangen war, mehren sich jetzt die Einwände gegen seinen Entwurf. Dieser sieht anstelle des Bestehenden - einem Musterbau der Nachkriegsmoderne von Dieter Oesterlen - einen säulenbestückten Glaspavillon vor.
Für Transparenz und Freiheit stehe der, sagt der Architekt, und sei "schlank und schön wie Claudia Schiffer". Oesterlens Witwe allerdings hat sich nun gegen jede "entstellende Veränderung" und erst recht einen Abriss gewandt. "Bei uns in der Fraktion macht sich eine Stimmung breit, die diesen Entwurf ablehnt", sagt auch Heiner Bartling, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion über den Pavillon. Man favorisiere den zweitplatzierten Entwurf des Hamburgers Walter Gebhardt, bei dem das denkmalgeschützte Plenargebäude zumindest äußerlich erkennbar bleibe. Unzufrieden ist auch die FDP: Fraktionschef Wilfried Engelke sprach von "enttäuschenden Entwürfen" und empfahl laut der Hannoverschen Allgemeinen den Wettbewerb neu auszuschreiben.
Die Grünen-Fraktion sorgt sich gar um die Glaubwürdigkeit des eigenen Hauses: "Die Gesetze, die wir machen, gelten für alle gleich. Hier schützt das Denkmalschutzgesetz ein kulturelles Erbe, das sich bewusst mit der Nazidiktatur auseinandergesetzt hat", sagt der Fraktionsvorsitzende Stefan Wenzel. Landtagspräsident Hermann Dinkla (CDU) fand offenbar einen anderen Anknüpfungspunkt wichtiger: Er lobte am Siegerentwurf, dass er sich an das vom Hofarchitekten Laves gestaltete Leineschloss anlehne.
Enno Hagenah, der selbst für die Grünen in der Jury saß, sagt, es gehe nun darum, "den Denkmalwert des Gebäudes zu erhalten und die Kosten für den Umbau zu senken". Dazu solle man auf den ersten Architekturwettbewerb von 2002 zurückgreifen: Damals gewann das Büro Koch-Panse mit einem Entwurf, der "in kongenialer Weise Oesterlens Thema des Dialogs von Alt und Neu" fortführte, befand die Akademie für Künste Berlin.
wurde zwischen den Jahren 1957 und 1962 im Zuge des Umbaus des stark kriegsbeschädigten Leineschlosses zum Niedersächsischen Landtag errichtet.
Architekt Dieter Oesterlen nannte damals als Ziel, die Würde des alten Baudenkmals zu bewahren aber mit den Elementen der 1950er Jahre Moderne so zu ergänzen, "dass der Bau zu einem neuen Ganzen zusammenwächst, dass sich weder das Alte vor dem Neuen, noch das Neue vor dem Alten verleugnet, dass das Haus die Atmosphäre eines Repräsentationsbaus unserer jüngsten Demokratie in sich trägt und auch nach außen hin ausstrahlt".
Seit 1983 steht der Plenarsaal unter Denkmalschutz.
21 Millionen Euro sollte seinerzeit der Umbau kosten. Zu viel, entschieden die Abgeordneten. Im November 2009 sah die Sache anders aus: Da verständigten sich CDU, FDP und SPD darauf, 45 Millionen Euro für den Bau locker zu machen. Mit dieser Summe eine "Punktlandung" hinlegen zu können, glaubt nun Architekt Eun Young Yi - auch wenn er die Kosten für seinen Entwurf noch gar nicht durchgerechnet hat.
Am Donnerstag ließ die Witwe des Landtags-Architekten Dieter Oesterlen, Eva Oesterlen, durch ihren Anwalt mitteilen, dass "jedwede beabsichtigte entstellende Veränderung des Niedersächsischen Landtages keine Zustimmung erfahren wird". Sie sehe ihr Urheberrecht beeinträchtigt und erwäge rechtliche Schritte gegen einen Abriss des Nachkriegsbaus.
Vor einer Tabula-rasa-Lösung hatte der Präsident der niedersächsischen Architektenkammer bereits ebenso gewarnt wie der Bund Deutscher Architekten oder die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Und der Kurator der Architekturabteilung im New Yorker Museum of Modern Art, Andres Lepik, prophezeite im Falle eines Abrisses "einen nachhaltigen und dauerhaften Schaden für das Ansehen der Stadt, des Landes und seiner Vertreter" - und das "weit über Niedersachsen und Deutschland hinaus".
Es sind aber nicht nur Spezialisten, die sich für den Erhalt stark machen. Nach Bürgerprotesten am Tag der offenen Tür vor gut einem Jahr, nannte es selbst Parlamentspräsident Dinkla "beeindruckend, dass viele in der Bevölkerung eine andere Position beziehen".
An der Position der meisten Abgeordneten änderte das aber nichts: Denen ist das Gebäude aus ästhetischen und funktionalen Gründen nicht mehr genehm. Zu wenig Tageslicht falle in den Saal, zu wenig Platz biete es für Presse-Besuch - wohlgemerkt: Im Schnitt verbringen sie hier drei Tage pro Monat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!