Abriss-Politik: Die letzten Tage der Siedlung
In Horn soll morgen die Wohnung der letzte Mieterin der alten Riedsiedlung geräumt werden. Dabei treffen zwei Vorstellungen von Wohnungsbaupolitik aufeinander.
Umzingelt von Neubauten wohnt Kristin Küster in den Resten einer wohnungspolitisch überkommenen Zeit - in einem Sozialwohnungsbau, der noch auf die Anfänge der 1930er Jahre zurückdatiert. Auf dem Areal der Horner Riedsiedlung zwischen Hermannsthal, Vierbergen, Helma-Steinbach-Weg und Legienstraße ist um sie herum in den letzten Jahren eine neue Siedlung entstanden. In das familiengerechte und energieeffiziente Quartier investierte die Saga 34,6 Millionen Euro. Besonders stolz ist die Saga auf die beiden Passivhäuser. Ein Pilotprojekt, um "die Potenziale für Heizkosteneinsparungen auszuloten".
Als letzte Mieterin der alten Siedlung ist Küster heute übrig geblieben. Und für sie hat soziale Wohnungspolitik etwas anderes zu sein. "Hier werden Wohnungen plattgemacht, die von den Kosten und der Wohnfläche her auch für Hartz-VI-Empfänger geeignet wären", sagt Küster. Seit über drei Jahren wohnt sie nun schon allein in einem Reihenhausblock der alten Riedsiedlung. Wäre es nach den Plänen der Saga gegangen, würde es das Haus am Riedeck längst nicht mehr geben. Aus der Sicht der Saga hat Küster das ganze Neubauvorhaben jahrelang blockiert. "Doch jetzt gibt es nach langem Rechtsstreit die Möglichkeit, den letzten Mietshäuserblock zu bauen", sagt Saga-Sprecher Mario Spitzmüller. Am morgigen Donnerstag soll Küsters Wohnung am Riedeck 28 geräumt werden.
In den letzten Jahren konnte sich Küster immer wieder gegen die Kündigungen und Räumungsklagen behaupten. Doch nach einem Urteil des Hamburger Landgerichts hat die Saga nun freie Hand. "Und das, obwohl derzeit noch ein Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof läuft", sagt Küster. Sie befürchtet, dass die Saga ihre Ankündigung wahr machen wird. Dann käme das ausstehende Urteil des Bundesgerichtshofes für sie zu spät.
Als Ersatz für die in der Innenstadt durch die Sanierung des Gängeviertels wohnungslos gewordenen Arbeiterfamilien werden zwischen 1933 und 1939 in Horn schlichte zweigeschossige Reihenhäuser gebaut.
Die Stadt sanierte die Häuser Mitte der 1990er Jahre, kurz darauf gingen sie in den Besitz der Saga über.
Der erste Häuserblock wird 2000 abgerissen, viele der 1.000 Bewohner kämpfen für den Erhalt.
Als Kompromiss wurde der Erhalt von fünf Häusern versprochen. Der Bestandsschutz gilt bis heute.
Den Abriss der gesamten Riedsiedlung verkündete Bausenator Mario Mettbach (Schill-Partei) 2003.
Zunächst war es die besondere soziale Gemeinschaft, für die sie sich einsetzen wollte. Die hatte auch Ole von Beust in seinem Wahlkampf gegen den damals noch rot-grünen Senat stark gemacht und den Erhalt der gesamten Siedlung versprochen. Was davon übrig blieb, war ein Bestandsschutz für fünf der rund 20 Reihenhausblöcke. Die alte Riedsiedlung wurde in den 1930er Jahren überwiegend für Arbeiterfamilien gebaut, die mit dem Abriss des Neustädter Gängeviertels eine neue Bleibe brauchten. Errichtet wurde sie im jungen Stadtteil Horn im Einklang mit dem großstadtfeindliche Denken jener Zeit: Ein Dorf sollte die Siedlung sein.
Wie ihre ehemaligen Nachbarn hatte sich Küster ihre Wohnung über die Zeit selbst ausgestattet. Denn ursprünglich gab es gerade einmal Öfen, weder Warmwasser noch Bad. Sie hatte eine Gasheizung und ein Badezimmer eingebaut und das Dach ausgebaut. Rund 20.000 Euro hat Küster in die Wohnung gesteckt, bei einer Kaltmiete von 277 Euro für die insgesamt 75 Quadratmeter sollte sich das auf Dauer rechnen.
Mitte der 1990er Jahre hatte auch die Stadt, der die Häuser bis dahin gehörten, in die Sanierung investiert. Anschließend ging die Siedlung in den Besitz der Saga über. Die habe den Mietern zunächst weitere Sanierungsmaßnahmen versprochen, erinnert sich Küster. Dann habe sie den Abriss verkündet. Der anfänglich geschlossene Widerstand der Mieter ebbte nach und nach ab und ein Mieter nach dem anderen zog aus.
Über die Zeit gab es immer wieder Ärger. Für die letzten Mieter wurde es unbehaglich, als in den noch bewohnten Häusern Polizeiübungen durchgeführt wurden. Und während der Abrissarbeiten hatte Küster oft kein Wasser, Strom und Telefon. Ihr Haus wurde ohne vorherige Ankündigung teilweise abgerissen.
Obwohl vieles vom dem nicht mehr da ist, was die alte Riedsiedlung für sie einmal ausgemacht hat, blieb Küster. Nach und nach, erinnert sie sich, hätten sich ihre Ziele verändert. Heute geht es ihr nicht mehr um die Siedlung, die so nicht mehr existiert. Ihre früheren Nachbarn hätten sich in alle Himmelsrichtungen verstreut. Aber die alten Wohnungen wären gerade richtig für Leute, die sich nur geringe Mieten leisten können.
Die Mieten in den neuen Wohnungen liegen zwischen 5,50 und 6,28 Euro, je nach Größe der Wohnungen. Die reichen von 41 Quadratmeter im Fall der kleinsten 2-Zimmer-Wohnungen bis 105 Quadratmeter für die 5-Zimmer-Wohnungen. "Die Mieten in den Saga-Neubauten sind natürlich höher, doch gerade günstiger Wohnraum wird in Hamburg dringend benötigt", sagt Küster. Besonders unverständlich ist für sie, dass die Saga sich über mangelnde Flächen für sozialen Wohnungsbau beklagt. Und gleichzeitig einen Teil der Fläche an einen privaten Investor verkauft hat.
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