Abitur soll vergleichbar werden: Fucking Föderalismus
Eine Abi-Aufgabe, zwei Bundesländer. In dem einen haben Schüler*innen länger Zeit. Die Kultusminister wollen die Abschlussprüfungen vereinheitlichen.
Das baden-württembergische Kultusministerin wies die Schüler darauf hin, dass Abiturienten in Mecklenburg-Vorpommern dieselbe Aufgabe zu bewältigen gehabt hätten. Auf Nachfrage stellte sich heraus: Im Norden hatten sie eine halbe Stunde länger Zeit und durften zweisprachige Wörterbücher benutzen. Seither gibt es noch zwei weitere Petitionen, eine fordert den Rücktritt der Kultusministerin.
Zwei Bundesländer, ein Abitur – die Schulabschlüsse und die Voraussetzungen, diese zu erlangen, sind im föderalen Deutschland bis heute alles andere als vergleichbar. Das ist vor allem dann problematisch, wenn sich Schüler mit ihrem Zeugnis auf Numerus-clausus-Studiengänge bewerben. Für die Zulassung zählt nur die Abiturnote – egal wie und wo sie erworben wurde.
Schon 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zur Studienplatzvergabe für Medizin ein „länderübergreifendes Vergleichbarkeitsdefizit der Abiturnoten“ gerügt und die Länder aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. Gegen das föderale Wirrwarr regt sich nun vermehrt Widerspruch.
Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, bis 2021 einen Nationalen Bildungsrat einzusetzen, der „Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen“ vorlegen soll. Die neue Bundesbildungsministerin, Anja Karliczek (CDU), machte Anfang Mai schon mal einen Aufschlag. „Abiturienten erwarten zu Recht, dass ihre Reifezeugnisse bundesweit den gleichen Wert haben“, schrieb sie im Blog des Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda, und versandte gleichzeitig einen Vorschlag, wie sie sich den Rat vorstellt: als ein Gremium aus Experten, Praktikern und Politikern aus Bund und Ländern, das Perspektiven jenseits eingefahrener Wege aufzeigt.
Die Länder sollen entmachtet werden
Der Clou von Karliczeks Idee: Die Länder mit ihren jeweiligen Partikularinteressen könnten in ihrem Bildungsrat von den anderen Mitgliedern auch mal überstimmt werden. Im Klartext: Der Bund will die Kultusministerien teilweise entmachten. Karliczek weiß die Eltern hinter sich: Laut einer Befragung, die von den Unionsfraktionen in Auftrag gegeben wurde, wünschen sich zwei Drittel, dass der Bund mehr Einfluss auf die Schulpolitik nimmt.
Die Länder reagierten auf Karliczeks Vorstoß umgehend und scharf. „Kein guter Auftakt“, ließ der Hamburger Bildungssenator Thies Rabe (SPD), der die Runde der SPD-, Grünen- und Linken-Bildungsminister koordiniert, wissen. Der taz sagte Rabe, die Stimmenverteilung müsse die politische Verantwortung und die finanzielle Beteiligung aller Seiten berücksichtigen. Heißt: „Die Länder zahlen über 90 Prozent der Schulkosten und stehen allein für die Schulpolitik vor dem Wähler gerade. Deshalb müssen die Länder entsprechend ihrer Verantwortung gegenüber dem Bund eine sehr deutliche Stimmenmehrheit haben.“
Auch beim turnusmäßigen Präsidenten der Kultusministerkonferenz (KMK), Helmut Holter, schrillten die Alarmglocken: „Wir wollen nicht, dass der KMK nur noch die Rolle des Ausputzers zufällt. Es geht darum, gemeinsam voranzukommen“, sagt er der taz.
Bildungsföderalismus muss reformiert werden
Karliczeks Offensive setzt die Länder unter zusätzlichen Handlungsdruck. Nun also ein Nationaler Bildungsrat, der „Empfehlungen“ abgeben soll. Die 16 Bundesländer, in denen seit 70 Jahren jeweils ein eigenständiges Ministerium alle schulischen Dinge regelt, müssen nun in kurzer Frist beweisen, dass sie es schaffen, sich tatsächlich auf verbindliche Standards zu einigen, und zwar quer über Länder- und Parteigrenzen hinweg. Das dafür zuständige Gremium, die KMK, wird in dieser Hinsicht eher belächelt: müssen doch alle Beschlüsse einstimmig getroffen werden. Man einigt sich also auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Drei pensionierte Staatssekretäre, zwei mit SPD und einer mit CDU-Parteibuch, die in den Amtsstuben einst selbst Schulpolitik mitgestalteten, hatten sich bereits im Januar per Brief an die Ministerpräsident*innen gewandt und gefordert, die KMK zu reformieren und die „Defizite des Föderalismus“ durch einen Bildungsstaatsvertrag zu beheben. Nach Vorstellung von Burkhard Jungkamp (SPD), Michael Voges (SPD) und Josef Lange (CDU) soll dieser Vertrag verbindliche bundesweite Regelungen schaffen: vom Beginn der Schulpflicht, über einen einheitlichen Übergang nach der Grundschule bis zu einem Zentralabitur.
Die Kultusminister griffen die Anregung auf: Auf der KMK-Sitzung am 15. März wurde die Einrichtung einer Arbeitsgruppe beschlossen. Diese soll zum einen Themen vorschlagen, für die man Vereinbarungen schließen könnte, und die Option für einen Staatsvertrag prüfen. Zum anderen soll die Gruppe der Amtschefs ein Konzept für den Nationalen Bildungsrat erarbeiten. „Spätestens vor den Herbstferien, vielleicht sogar schon zur Sommerpause, soll ein Länderkonzept vorliegen“, sagte Rabe der taz.
Der neue Bildungsrat soll nicht zu viel Macht haben
Einig sind sich die Länder, dass der Bildungsrat nicht zu mächtig sein darf. „Wir sind uns in der KMK darüber einig, dass der Bildungsrat ausschließlich Empfehlungen geben kann. Entscheidungen werden weiterhin im Bund – wenn es um wissenschaftliche Einrichtungen, die der Bund finanziert, geht, oder in den Ländern – wenn es um Schulen geht – gefällt“, sagt Holter.
Parallel setzt der Hamburger Staatsrat Rainer Schulz gerade einen Entwurf für einen Staatsvertrag auf. Ziel eines solchen ist unter anderem die Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen einschließlich des Abiturs. Für das Abitur gibt es bereits einen gemeinsamen Aufgabentopf, aus dem die Länder sich bedienen können. Aber wie das aktuelle Beispiel aus Baden-Württemberg zeigt, haben die Schüler davon wenig. „Wir wollen bei der Vergleichbarkeit des Abiturs weiterkommen“, meint Schulz’ Vorgesetzter Rabe daher. „Die Aufgaben zum Abitur sollen weiter standardisiert werden und es muss einheitlichere Regeln für die Zulassung geben.“
Bundesbildungsministerin im Juni zu Besuch bei der KMK
Am 14. und 15. Juni treffen sich die Kultusminister auf ihrer vierteljährlichen KMK-Sitzung in Erfurt. Zu dieser wird auch Bildungsministerin Karliczek erwartet. Auf der Tagesordnung steht auch der nationale Bildungsrat. Ob es dann bereits eine erste Verständigung geben könnte, wie Karliczek in ihrem Brief andeutet, bezweifelt Rabe jedoch: „Verständigungen gibt es immer, aber inhaltliche Vereinbarungen in der allerersten Sitzung halte ich für sehr optimistisch.“
Ebenfalls am 15.Juni trifft sich der baden-württembergische Landesschülerbeirat mit Vertretern des Kultusministeriums. Bis dahin werden die Englischklausuren korrigiert sein. „Wenn die Ergebnisse schlechter sind als die des Vorjahres, werden wir entscheiden, ob noch weitere Maßnahmen getroffen werden“, sagt der Vorsitzende Leandro Cerqueira Karst.
Grundsätzlich ist der Landesschülerbeirat sehr dafür, dass Schulabschlüsse deutschlandweit vergleichbarer werden. „Dazu gehört aber auch, dass ähnliche Voraussetzungen herrschen, die Schüler also auf gleiche Aufgaben auch vergleichbar vorbereitetet werden“, sagt Cerqueira Karst. Das würde eine Angleichung der Lehrpläne bedeuten. Mit dem Föderalismus in seiner jetzigen Form kaum zu vereinbaren.
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