Abend der Begegnung am Mittwoch: Protestanten statt Protest
Der Kirchentag in Hamburg befriedet am 1. Mai die ganze Stadt. Während die Bayern Barcelona schlagen, brennt ein einsames Lagefeuer hinter der Roten Flora.
HAMBURG taz | Der Mann auf dem Hamburger Schulterblatt hat fast Glatze. Mit seinem blau-weißen Schal könnte er auch Fußballfan sein. Schalke spielt heute doch gar nicht. „Wissen Sie, warum hier so viel Polizei unterwegs ist?“ Von den traditionellen Krawallen am ersten Mai hat er noch nie etwas gehört. Am späten Mittwochnachmittag wirkt Hamburg fröhlich ausgeruht. Die Sonne senkt sich wärmend über die Stadt und die Vorfreude auf den Abend scheint groß zu sein.
Auf dem Strandkai warten die Menschen entspannt auf den Beginn des Kirchentags. Ein Vater läuft mit seinem Baby durch die Stuhlreihen, die Lieder für den Gottesdienst werden noch mal geprobt und dann geht es los. Ein tiefes Schiffshorn ertönt und wird von tausenden Blechbläsern abgelöst. Im Hintergrund pfeift ein Martinshorn.
Währenddessen steht auf der Schanze, dem Szeneviertel Hamburgs, der schwarze Block den Hundertschaften gegenüber. Aber es passiert nichts. Die Schlacht fällt aus. Die Polizei geht bei einem Streit eines jungen Pärchens dazwischen. Ein paar der Protestler zünden hinter der Roten Flora, dem Wahrzeichen der Besetzerszene, ein Lagerfeuer an. Autos bleiben in diesem Jahr verschont.
Ähnlich gemütlich geht es in der Eckkneipe zu, in der sich die Menschen langsam zum Champions-League-Halbfinale einfinden. Bayern trifft auf den FC Barcelona. Zehn Minuten vor Spielbeginn findet sich problemlos noch ein Tisch direkt vor dem Fernseher. Stimmung kommt nicht richtig auf. Spätestens nach dem die Münchner in Führung gehen ist das Spiel gelaufen.
Die Straßen sind noch voller Polizisten, die gelangweilt auf einen Einsatz warten. Plötzlich ist was los: Ein paar Leute haben es doch auf die HVV-Schienen geschafft. Bus und Bahn fallen aus. Der Kirchentagsbesucher nimmt das gelassen und wartet geduldig bis es weitergeht. Protestanten statt Protest. Es scheint, als hätte die friedlich-fromme Kirchentagsstimmung die Hamburger Innenstadt erfasst und das Kommende ummantelt. (Christina Steenken, Deniz Aykanat, Friedrich Göring und Paul Taylan Kilic)
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