■ Ab heute verhandelt ein britisches Gericht über den Antrag, den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet nach Spanien auszuliefern. Doch Chile möchte Pinochet selbst vor Gericht stellen: Ganz Santiago blickt nach London
Für Augusto Pinochet beginnt die vielleicht wichtigste Woche seines Lebens. Denn ab heute wird in London über die Auslieferung des chilenischen Ex-Diktators an Spanien verhandelt. Falls die britischen Richter dem Antrag der spanischen Justiz stattgeben sollten, wird sich der 83-Jährige in Madrid wegen „Befehlen zur Eliminierung von Personen, zur Durchführung von Folterungen, Entführungen und Verschwindenlassen“ verantworten müssen. Bis zum kommenden Wochenende soll das Verfahren abgeschlossen sein.
Augusto Pinochet lebt seit knapp einem Jahr in London unter Hausarrest. Auf der Grundlage des neuen spanischen Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1995 erhob Richter Baltazar Garzón Anklage gegen den Ex-Diktator und erwirkte einen internationalen Haftbefehl. Unter Pinochets Herrschaft zwischen 1973 und 1990 wurden über 3.000 Menschen ermordert oder verschwanden einfach, 800.000 Namen zählt die Liste der Folteropfer. Das spanische Recht sieht vor, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren und weltweit geahndet werden können. Ende März dieses Jahres kamen die Lordrichter des britischen Oberhauses zu dem Urteil, dass Pinochet keine Immunität genießt. Zugleich gestanden sie Garzón das Recht zu, die Auslieferung für eine Anklage wegen Folterungen zu beantragen, die nach dem 8. Dezember 1988 begangen wurden – demTag also, an dem Chile die Anti-Folterkonvention der UNO unterzeichnete.
Die Anwälte Pinochets werden ihre Verteidigung dagegen darauf stützen, dass dem General nach dem Stichtag 1988 nur ein Folterfall vorgeworfen werden könne. Das spanische Oberste Gericht, sieht das anders. Über 100 Fälle zählt Richter Garzón.
Für den Fall, dass dem Auslieferungsantrag Spaniens stattgegeben wird, prüft die chilenische Regierung unter Eduardo Frei eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Spanien sei für den Fall nicht zuständig, lautet die Argumentation. Eine Zuständigkeitsprüfung in Den Haag wäre auch dem spanischen Außenminister Abel Matutes am liebsten. „Das wäre der einzige Weg, der mit der spanischen Rechtslage vereinbar wäre“, urteilt er. Matutes hat seit der Verhaftung des Generals die undankbare Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Beziehungen mit der Heimat des Diktators nicht allzu sehr abkühlen – und so den Interessen der spanischen Wirtschaft schaden. Vor wenigenTagen gestand er ein, dass „mir nichts so sehr den Schlaf geraubt hat wie der Fall Pinochet“. Gleichzeitig versucht die spanische Regierung, alles zu vermeiden, was den Eindruck einer Einmischung in die Rechtssprechung erwecken könnte. Nicht etwa, weil den Konservativen der Fall Pinochet besonders am Herzen läge. Vielmehr will man nicht von der eigenen, diktatorischen Vergangenheit eingeholt werden.
Jetzt hat der Vorsitzende des britischen Auslieferungstribunals, Richter Ronald Bartle, das Wort. Dieser geriet bereits in den Tagen vor der Verfahrenseröffnung ins Kreuzfeuer der Kritik. Der 70-Jährige war einst Kandidat der Konservativen für das britische Unterhaus. Heute gehört er der „Königlichen Gesellschaft von St. George“ an, deren Vizevorsitzende keine geringere als die Pinochet-Freundin Margaret Thatcher ist. Wie nach dem ersten Urteil der Lordrichter zur Immunität Pinochets könnte auch dieses politische Profil eines eigentlich Unparteiischen Diskussionen auslösen. Damals wurde der Schiedsspruch annulliert, nachdem bekannt geworden war, dass einer der fünf Lords gute Kontakte zu amnesty international unterhalten hatte.
Falls eine der beiden Seiten alle Möglichkeiten zum Widerspruch ausnutzen sollte, könnte sich das Verfahren weitere zwei Jahre hinziehen. Das letzte Wort hat dann der britische Innenminister Jack Straw. Und diesem, so wird von der Presse vermutet, soll in der vergangenen Woche am Rande der UN-Sitzung mit seinem chilenischen Kollegen Valdés ein diplomatischer Deal gelungen sein. Chile werde gegen das Auslieferungsurteil keine Berufung einlegen, und Straw schicke im Gegenzug Pinochet aus „humanitären Gründen“ nach Hause. London und Santiago dementierten pflichtbewusst. Reiner Wandler, Madrid
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