AUF DER SUCHE NACH DER ULTIMATIVEN RENTENFORMEL: Ein Lehrstück in Sachen Demokratie
Walter Riester, heißt es in manchen Medien, sei gescheitert, die Rentenreform des Bundesarbeitsministers bereits Makulatur. Ist sie es wirklich? Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten müsste das, was in diesen Tagen geschieht, eigentlich gelobt werden. Eine dreitägige Anhörung des Bundestages zur Rentenreform wird veranstaltet und siehe da – die Kritik der Experten und Interessensvertreter wird sogar in einem zentralen Punkt der Reform ernst genommen: Eine SPD-Arbeitsgruppe will das Paket noch einmal aufschnüren.
Dabei wird der heftig kritisierte Ausgleichsfaktor verändert und am Ende ein Kompromiss stehen, der einer gerechteren Lastenverteilung zwischen den Alten von heute und denen von morgen entspricht. Am Kern der Reform aber, der Einführung einer privaten Altersvorsorge ab 2002, wird nicht mehr gerüttelt. Das hatte schon Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Haushaltsdebatte des Bundestages vor zwei Wochen angekündigt.
Dass Riester eine höchst unglückliche Figur macht, gehört mittlerweile zum Allgemeingut. Sicherlich, der Arbeitsminister hätte die verschiedenen Interessen besser moderieren können. Aber abgesehen davon, dass ihm diese Rolle wenig liegt, muss sich die SPD selbst ein gut Teil der Schuld zuschreiben. Schon im Wahlkampf 1998 und erst recht nach der Regierungsübernahme war in ihren Reihen eine in sich geschlossene Politik in der Rentenfrage nicht erkennbar. Zunächst schafften die Sozialdemokraten den unter der alten Regierung eingeführten Demografiefaktor ab, obwohl für dessen Beibehaltung sachliche Gründe sprachen; die Grünen waren dafür, beugten sich aber der Koalitionsräson. Schließlich wurde die jährliche Rentensteigerung an die (niedrige) Inflationsrate gekoppelt, um sie kurze Zeit später wieder an die Entwicklung der (höher steigenden) Nettolöhne zu binden. So verstrich viel wertvolle Zeit.
Statt die Experten am Ende anzuhören, hätte man sie von Anfang an beteiligen sollen. Nun reagiert man umso hektischer, weil der Druck von Außen immer stärker wird. Die Gewerkschaften haben Aktionen gestartet und auch die Parteimitglieder verstehen nicht mehr, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Ende Januar soll das Vorhaben durch den Bundestag gebracht werden. Die Zeit drängt. Man will das leidige Thema endlich los sein, Reform hin oder her. Nicht etwa, weil das Rentensystem sonst kollabieren würde. Sondern weil im Frühjahr Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg anstehen. SEVERIN WEILAND
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