ARBEITGEBER BRAUCHEN DIE GEWERKSCHAFTEN – UND UMGEKEHRT: Das Gemeinsame der Tariffalle
Verkehrte Welt in den Niederlanden: Dort sind Arbeitskräfte inzwischen so knapp, dass viele Unternehmer Löhne über Tarifniveau bezahlen. Die Folge: Die Machtbasis der Gewerkschaften in den Betrieben ist schwächer geworden. In einigen Firmen vertreten jetzt autonome Personalkollektive die Interessen der Beschäftigten. Den Unternehmern sind solche autonomen Gruppen aber gar nicht recht, schließlich werden sie von der Gewerkschaft nicht mehr kontrolliert und können den Betriebsfrieden empfindlich stören. Es gibt also gemeinsame Interessen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Nicht nur in den Niederlanden.
In Deutschland sieht es auf den ersten Blick zwar nach einem harten Tarifkampf aus. 6,5 Prozent mehr Lohn für alle hat die IG Metall gefordert und steht jetzt da als Betongewerkschaft, die nicht sehen will, dass die Ertragslagen in den Betrieben doch sehr unterschiedlich sind. Jede Flexibilisierung, etwa des Weihnachtsgeldes, würde aber die Kampfkraft der Gewerkschaft schwächen, befürchtet man bei der IG Metall. Die Gewerkschaft, so scheint es, steckt in der „Tariffalle“: Lässt sie den einzelnen Firmen mehr Raum für betriebsnähere Vereinbarungen, verliert sie an Macht – und das wiederum kann auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer sein.
Aber ganz so verfahren ist die Situation dann eben doch nicht. Schließlich sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände voneinander abhängig. Ein allzu hoher Lohnabschluss in der Fläche ist nämlich auch nicht im Interesse der Gewerkschaften. Als die IG Metall 1995 mit Streiks einen hohen Abschluss durchsetzte, verließen viele Unternehmer den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Überall wurde plötzlich von der Erosion der Tariflandschaft gesprochen. Tarifrituale sind eben nicht nur ein Kampf zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern. Es geht auch um die Kontrollierbarkeit der Verhältnisse. In Deutschland sind mächtige Gewerkschaften nur denkbar mit mächtigen Arbeitgeberverbänden – genau um diese heimliche Balance geht es auch im kommenden Tarifstreit. Jede Tarifrunde ist immer auch ein Interessenausgleich der IG Metall. Mit sich selbst.
BARBARA DRIBBUSCH
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