ANTI-TERROR-BESCHLÜSSE DES EUROPÄISCHE PARLAMENTS VERWORFEN: Bin Laden darf nicht klagen
Diese Woche durften sich die Abgeordneten des Europaparlaments ungefähr achtundvierzig Stunden lang wichtig fühlen. EU-Außenkommissar Chris Patten, der ja vorher immerhin mal Hongkong regiert hat, kam persönlich nach Straßburg und sagte ihnen, dass sie gebraucht werden: 27 Terroristenkonten sollten sie sperren helfen, damit der Rat das nicht allein tun muss – und wegen dem größeren demokratischen Gewicht der antiterroristischen Einheitsfront. Manche Parlamentarier waren verwirrt. Bis jetzt hat der Rat – das Gremium der 15 Staats- und Regierungschefs – in ähnlichen Fällen die Konten gesperrt, ohne die Abgeordneten um ihre Meinung zu fragen.
Vor allem die konservative Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine, die sich den Kommissaren und hohen Regierungschefs gegenüber gern als braves Mädchen präsentiert, wollte alles besonders gut machen: Eilverfahren, Finger heben, einstimmig 27 Turbanträgern den Geldhahn abdrehen. Fontaine wollte jede Debatte abwürgen, doch ganz so einfach ging es dann doch nicht. Zwar ließen sich bis auf die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken fast alle in die Pflicht nehmen. Weil sie keine Informationen über die verdächtigten Kontoführer hatten, einigten sie sich aber über Nacht auf Änderungsanträge: Die mittellosen Turbanträger sollen vor dem Europäischen Gerichtshof klagen dürfen. In spätestens zwei Jahren müsste die Verordnung automatisch auslaufen.
Ein geschickter Schachzug. Der Schwarze Peter war damit wieder beim Rat. Der muss die Änderungsanträge zwar nicht berücksichtigen, aber immerhin zur Kenntnis nehmen. In Ratskreisen tut man nun verwundert. Keine Ahnung hat man dort, wie Chris Patten auf die Idee kommen konnte, das Parlament einzubinden. Er habe Artikel 308 EG-Vertrag aus der Tasche gezogen. Wenn es darum gehe, Konten einzufrieren, sei aber Artikel 301 gefragt, dem zufolge der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet – ohne Zutun des Europaparlaments.
Gegen die geballte Macht des Rates sind Kommission und Parament nach der derzeitigen Vertragskonstruktion machtlos. Schade, dass Parlamentarier nicht streiken können. Licht aus, Tür abschließen in den Glaspalästen von Straßburg und Brüssel – das wäre die richtige Antwort auf dieses Spiel mit Vertragsartikeln.
Stattdessen freuen wir uns alle auf die nächste Vertragsreform. Natürlich dürfen auch ein paar EU-Parlamentarier am Tisch sitzen, wenn im Konvent über die Demokratisierung Europas geredet wird. Den Text machen die Staatschefs dann wieder alleine – hinter verschlossenen Türen, versteht sich. DANIELA WEINGÄRTNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen