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ALLE MÄNNER TRANSZENDIEREN

■ „GegenwartEwigkeit“ im Martin-Gropius-Bau

„Männer machen die Götter“, zitierte eine französische Schriftstellerin den britischen Ethnologen Sir James George Frazer und fügte hinzu: „Die Männer können nicht mit voller Überzeugung vor Idolen niederknien, die sie selbst geschaffen haben.“ So müßte es sich bei den Religionen um so etwas wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen handeln. Stellen für Denker werden ausgeschrieben, damit Bilder von Welt, Universum und ihrem Schöpfer entstehen, um irgendwann wieder verworfen werden zu können. Deshalb gibt es in unseren Breitengraden auch keinen Gott mit Rauschebart und erhobenen Zeigefinger mehr. Das Überirdische, was da benannt werden soll, heißt jetzt das Göttliche, das Religiöse oder, noch vorsichtiger, das Transzendente.

Noch bedachtsamer drücken sich die Ausstellungsmacher von „GegenwartEwigkeit“ aus. Sie suchen nur noch „Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit“. Männer sind es auch, die die Idee zu solch einer Ausstellung hatten: Wieland Schmied und Jürgen Schilling. Schon 1980 hatte Schmied mit anderen „zwei Männern“, Erich Lausener und Jakob Kraetzer, in der Orangerie des Schloß Charlottenburg „Zeichen des Glaubens - Geist der Avantgarde, religiöse Tendenzen in der Kunst des 20. Jahrhunderts“ aufgestellt. Die Kunst der Klassischen Moderne sei immer stark religiös oder spirituell geprägt gewesen, war die These.

Im Einleitungsessay des Katalogs zu „GegenwartEwigkeit“ kann Schmied gar nicht genug betonen, wie schwer die Männer damals ringen mußten, um das Projekt 1980 in den Griff zu bekommen. Indirekt erfährt man, daß es nun ein noch härterer Kampf gewesen sein muß. Das Unterfangen ein Jahrzehnt später gestaltet sich um vieles schwieriger. Denn so deutlich wie noch in der Klassischen Moderne ziehen sich die Spuren der Auseinandersetzung mit dem Christentum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr durch die Produkte der Künstler. Es bleiben nur noch die „Spuren des Transzendenten“.

Das Projekt von 1980 fand anläßlich des 86. Katholikentages statt. Katholiken treffen sich auch 1990 wieder in Berlin. Doch heuer ist Schmied nicht mehr gewillt, mit den Gläubigen vorbehaltlos gemeinsame Sache zu machen. Zornig über die von ihm ausgemachte Kunstfeindlichkeit der Kirche stemmt er sich gegen die Übermacht: „Das Erscheinungsbild der katholischen Kirche hat sich mehr und mehr zum Konservativen hin gewendet, der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils gehört der Vergangenheit an (...) Bischofsstühle werden gegen den bekundeten Willen des Kirchenvolkes besetzt, die sogenannte Theologie der Befreiung, die gerade auf Künstler ungeheure Anziehungskraft ausstrahlte, scheint zurückgedrängt. Die alte Bilderfeindlichkeit des Protestantismus äußert sich immer wieder in Zeichen der Ängstlichkeit, ja Unduldsamkeit. Der Fundamentalismus ist zu einem weltweit wirkenden Phänomen geworden und längst nicht mehr auf eine einzelne Religion beschränkt. Oft geht er mit Nationalismus und Chauvinismus Hand in Hand. Das alles verdichtet sich zu einem geistfeindlichen Klima.“ Was dazu geführt habe, daß Künstler Gott überall suchen, nur nicht in der Kirche.

Aber der Ritter des Geistes ist versöhnlich gestimmt. Schmied stehen Helfer zur Seite, die Brücken schlagen sollen zwischen Geist und Glauben, nämlich die Guardini-Stiftung, die sich unter ihrem (männlichen) Vorstand die Aufgabe gestellt hat, „in ökumenischer Offenheit die Begegnung zwischen Kunst, Wissenschaft und christlichem Glauben zu fördern“. Präsidiumsmitglied Kraetzer schlägt Töne an, die wohl Gläubige locken sollen: „Mit ihren Bildern laden die Künstler den Betrachter auf ungewohnte und meist eigenwillige Weise ein, mit ihm die Strecke von außen nach innen zurückzulegen. Wer sich darauf einläßt, wird - wenn das Bild gut ist - neuartige Spuren eines schöpferischen Prozesses und im Idealfall ein zur Ewigkeit verdichtetes Stück Gegenwart entdecken. Die Betrachtung von Bildern kann auf diese Weise zur lebensentscheidenden Wegweisung werden.“

Um in der Vielfalt der Pfade transzendierender Künstler ihren Wegweiser zu finden, müssen Betrachtende schon ganz schön mündig sein. Das Angebot ist groß, auch wenn sich „Kunst unserer Zeit“ im Martin-Gropius-Bau auf die Produkte westlicher Künstler beschränkt. Skulpturen, Photographien und vor allem Tafelbilder trugen die Ausstellungsmacher ausschließlich von denen zusammen, die von unbezahlbarem Rang und Namen sind - unter Bacon, Baselitz und Schnabel läuft hier nichts. Aber in diesen Regionen wurde zusammengekarrt, was immer eine Tendenz ins Unbestimmte, Überirdische erkennen ließ, als ob Vostells Ausspruch „Religion ist in jedem Sandkörnchen“ das Leitmotiv der Ausstellung gewesen sei.

Einige Grundzüge lassen sich jedoch erkennen, zum Beispiel Unmengen von Kreuzen jeweder Form. Dementsprechend häufig ist das Hochformat bei den Tafelbildern zu finden. Den Platzforderungen dieser Leinwände müssen sich die anderen Werke beugen, denn hohe Bilder erfordern hohe Räume. Für kleinere oder querformatige bleiben die niedrigen. Außerdem sind Farben von Bedeutung. „Schwarzer Granit“ (190x49x20 Zentimeter) von Karl Prantl, Raimund Gierkes „Weiße Welten“ I bis II und Erol Akyavas goldene Altäre, die das Judentum, das Christentum und den Islam symbolisieren, sollen als Beispiele für die dominanten Töne reichen. Schließlich: Der Tod spielt in den versammelten Werken eine größere Rolle als Geburt oder Leben.

Durch den Wald von Wegweisern führt ein verschlungener Weg. Ganz klein wird der Mensch auf seiner Wanderung. Einsneunzig ist eine magische Größe, die die Bilder ungern unterschreiten. Im Kampf der Giganten um die Aufmerksamkeit der Besucher geht jede Ewigkeit gleich verloren, denn mehr als die Hälfte der über 200 Werke müssen im Kurzzeitgedächtnis der Passanten landen. Die Dauer eines Rundgangs überlebt, was sich bescheiden hält wie Joseph Beuys‘ zarte Zeichnungen oder Christan Boltanskis „Bougies“. Fünf kleine bemalte Kupferfiguren stehen auf Metallhaltern an der Wand und entlocken den Vorbeiziehenden sachte Rufe des Entzückens. Auf den Haltern brennen schlichte Kerzen herunter, und eine verlischt gerade. Das Zerrinnen läßt sich anfassen. Das tut ein bißchen weh, weil man ja nichts mehr wünscht, als die Zeit einmal anhalten zu können.

Michael Theunissens Aufsatz über die „Freiheit von der Zeit“, das „Ästhetische Anschauen als Verweilen“, ist das Freundlichste, was der Katalog zu bieten hat. Vielleicht, weil er jenem alltäglichen Verlust-Erleben so nahe kommt. Sonst versammelt der rund 340 Seiten starke Prachtband Überlegungen zu Spezialgebieten und steckt mit „Die Bilder -Chronik des Felipe Guaman Poama de Ayala und die Theologie der Befreiung in Lateinamerika“ den Rahmen weiter als die Ausstellung selbst, die den Besucher nur ungern unverblümt die Niederungen irdischen Lebens vor die Nase setzt. Die Radierungen Zoran Musics aus dem Jahre 1970 basieren auf Zeichnungen, die im Konzentrationslager Dachau entstanden. Doch das Entsetzen, das von den Bildern der von der Folter entstellten, schließlich elend gestorbenen Menschen ausgeht, verflüchtigt sich in dem Text, den der Katalog den Abbildungen gegenübergestellt hat. „Die tragische Eleganz in diesen zerbrechlichen Körpern“ steht für Music im Vordergrund, und sein Fazit ist: „Ich bedurfte dieser schrecklichen Lektion, und sei es auch nur um meiner Malerei willen.“

Music ist nicht der einzige, der im Buch zur Schau sein Werk erklären darf. Wenn die Künstler es nicht selber tun, erledigen es andere. Da wird noch einmal beschrieben, was ohnehin zu sehen ist, dann wieder stehen die Autoren vor der Schwierigkeit, über jemanden wie Dali sich ohne Allgemeinplätze kurz fassen zu müssen, denn nicht jeder hat seitenweise so viel Platz wie Schmied: „Markus Lüpertz hat oft betont: Mein Thema ist die Malerei. Wir dürfen den Satz ergänzen und konstatieren: Sein Thema ist das Bildermachen.“ Noch schöner formuliert sich die Künstlerin Agnes Martin: „Wenn ich an Kunst denke, denke ich an Schönheit. Schönheit ist das Geheimnis des Lebens. Man sieht sie nicht mit den Augen, sondern mit dem Geist. Mit unserem Geist können wir Vollkommenheit wahrnehmen.“ Lebenspraktisch schön an dem Katalog sind das übersichtliche Ausstellungsverzeichnis, die kurzen Künstlerbiographien und die vollkommenen Abbildungen eines Großteils der aussgestellten Werke, den vergeßlichen BesucherInnen ein Hilfe.

Mit Menge und berühmten Namen möchte sich „GegenwartEwigkeit“ einreihen in die Serie von Mammutausstellungen westeuropäischer Großstädte, die zwecks Politur der Stadtimages inszeniert werden. Wie lange solch Theater aber noch Publikum zieht, ist nicht gewiß. Mag sein, daß sich dies auch die Ausstellungsmacher gefragt und nun überlegt haben, wie dem noch eins obenauf zu setzen sei, wo doch außerdem der Zeit des Malens auf Leitern ein Ende droht. Von unten drängt schon Kleineres oder ganz und gar Unhandliches, und Malen ist nicht mehr Pflicht. So wird Tafelmalerei zur Einsegnung gebeten, um jeden Verdacht von „Zeitgeist“ hinter sich zu lassen und Anspruch auf Ewigkeit zu erlangen.

Das Zitat von Sir James George Frazer geht noch weiter. „Männer machen die Götter. Frauen beten sie an“, heißt es, und Simone de Beauvoir, die die Frauen in der Immanenz verhaftet geblieben sah, ergänzte noch: „Wenn aber Frauen auf ihrem Weg großen Statuen begegnen, kommt ihnen nicht in den Sinn, daß eine Hand sie verfertigt habe, und sie fallen gehorsam in die Knie.“ Das war 1949. 1990 beträgt die Beteiligung von Künstlerinnen an einer Ausstellung großer Namen zum Thema Transzendenz rund sechs Prozent. Das läßt sich so oder so deuten.

Claudia Wahjudi

„GegenwartEwigkeit“ im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße 110, 1-61, bis zum 24. Juli, Dienstag bis Sonntag 10 bis 22 Uhr. Katalog in der Edition Cantz, 48 DM, geb. im Buchhandel 88 DM, 341 Seiten.

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