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AKW Saporischja soll wieder ans NetzRisikofall Reaktor 5

Mit europäischer Unterstützung wird das ukrainische AKW Saporischja modernisiert. Doch es droht eine Katastrophe.

Die sechs Reaktoren des AKW Saporischja: Vor allem Reaktor 5 bereitet Umweltschützern Sorge Foto: Dmytro Smolyenko/imago

Kiew taz | Pünktlich zum 1. Januar soll Reaktor 5 des größten AKW Europas wieder ans Netz – zumindest wenn die ukrainische Regulierungsbehörde am 24. Dezember ihr finales Okay gibt. Zum Jahreswechsel wird Reaktor 5 dann genau 260 Tage vom Netz getrennt gewesen sein. Hauptprobleme bei den laufenden Reparaturen am AKW Saporischja sind die Reservedieselgeneratoren und fehlende Ersatzteile. Und so kämpfen ukrainische Umweltschützer gegen einen Weiterbetrieb des Reaktors.

Anfang Dezember, so berichtet die Atomexpertin Ilona Sajez auf dem ukrainischen Portal petrimazepa.com, seien im Reaktor 59 vom „komplexen Programm zur Erhöhung der Sicherheit“ vorgesehene Maßnahmen umgesetzt worden. 35 jedoch nicht! Obwohl die Sicherheitsmaßnahmen für das AKW Saporischja nicht komplett durchgeführt worden sind, üben der Konzern Energoatom und das Amt des ukrainischen Präsidenten massiven Druck auf die Regulierungsbehörde aus, die Wiederaufnahme von Reaktor 5 zügig umzusetzen, erzählt Sajez.

Sajez weiß, wovon sie spricht. Noch vor wenigen Jahren hatte sie als Mitarbeiterin der Presseabteilung von Energoatom Journalisten erklärt, wie sicher doch die Atomenergie sei. Wie wichtig Dieselgeneratoren in AKWs sind, hat die Katastrophe in Fukushima gezeigt. Dort hätten die Dieselgeneratoren die Kühlung der Atomreaktoren aufrechterhalten müssen. Doch der Tsunami hatte sie zerstört, weshalb die Reaktorblöcke überhitzten – und es zur Kernschmelze kam.

Die Modernisierungsmaßnahmen in ukrainischen Atomkraftwerken werden auch mit europäischem Geld finanziert. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) wie auch Euratom haben einen Kredit von 600 Millionen Euro gegeben. „Das Programm zur Erhöhung der Sicherheit der ukrainischen AKWs sollte eigentlich 2020 abgeschlossen sein. Nun hat man die Umsetzung auf 2023 hinausgeschoben“, sagt Oleg Savitsky, Vorstandsmitglied der ukrainischen Umweltorganisation Ökodia, gegenüber der taz.

Problem Dieselgeneratoren

Im Rahmen dieses Programms sollten auch alle 20 Dieselgeneratoren vom Typ ASD-5600 im AKW Saporischja modernisiert werden. „Doch die Modernisierung dieser Dieselgeneratoren wurde nicht gemacht“, warnt Savitsky. „Wir wissen nicht, in welchem Zustand diese 20 Dieselgeneratoren sind. Was wir jedoch wissen, ist, dass bei keinem dieser Generatoren die elektronischen Steuerungssysteme modernisiert wurden. Es ist wirklich ein großes Problem, dass EBRD und Euratom Geld an den korrupten Konzern Energoatom gegeben haben, aber die Verwendung dieser Gelder nicht ordentlich kontrollieren. Die Sicherheit des AKW Saporischje ist derzeit ernsthaft gefährdet.“

Bei einer Anhörung am 17. Dezember hatten Vertreter der Atomwirtschaft zugesagt, dass man die Dieselgeneratoren reparieren werde und man für die Reparatur von einem der Generatoren bereits eine Ausschreibung fertiggestellt habe. „Das bedeutet aber, dass man bis zum 1. Januar noch keinen funktionsfähigen Dieselgenerator in Block 5 haben wird“, meint Savitsky.

Benötigt werden die Dieselgeneratoren nur bei Stromausfall. Das scheint ein hypothetischer Fall zu sein, hatte es doch in der Ukraine noch nie einen landesweiten Stromausfall gegeben. Savitsky ist da allerdings nicht so optimistisch. „Am 27. November sind drei Blöcke des Kohlekraftwerks Burschtyn gleichzeitig ausgefallen. Nur durch eine kurzfristige Lieferung von Strom durch den ungarischen Netzbetreiber Mavir konnte verhindert werden, dass das Netz instabil wurde“, berichtet Savitsky.

Gefahr eines Stromausfalls

Schon am 17. November war das gesamte Kraftwerk Dobrotwir (Baujahr 1956) ausgefallen. Die Vorfälle vom 17. und 27. November sollten der Ukraine eine Warnung sein, so Savitsky. Schließlich seien die meisten Kohlekraftwerke des Landes mit ihren mehr als 60 Jahren Laufzeit sehr veraltet. „Angenommen, es fallen, wie in Burschtyn und Dobrotwir geschehen, mehrere Kohlekraftwerke gleichzeitig aus und Nachbarstaaten wie Ungarn, Belarus oder Russland speisen nicht kurzfristig Strom ins ukrainische Netz ein, kann es zu einer landesweiten Instabilität des Netzes kommen.“

„Sobald die Netzfrequenz unter 49,8 Hertz fällt, werden Kraftwerke vom Netz gehen. Dies wiederum kann einen landesweiten Blackout auslösen“, erklärt Savitsky. Und genau in einer solchen Situation hänge die Existenz der Atomkraftwerke von gut funktionierenden Dieselgeneratoren ab. Im schlimmsten Fall könnten bei einem großen Blackout und defekten Dieselgeneratoren mehrere Reaktoren fast gleichzeitig havarieren.

Die Energiewende wurde ausgebremst

„Es muss nicht ein Blackout sein, es braucht nur ein Mast einer Hochspannungsleitung zerstört werden, und schon kann ein Atomkraftwerk ohne Strom sein“, erklärt Olexi Pasyuk, Direktor der ukrainischen Sektion von Bank Watch Network, gegenüber der taz. Im Januar, so Pasyuk, sei ein Hochspannungsmast im Gebiet Saporischja umgekippt, weil jemand Metallteile und große Schrauben entwendet hatte.

Die derzeit missliche Lage in der Energiepolitik sollte eigentlich Anlass für eine Energiewende sein. Doch die Ukraine setzt weiter auf fossile Energien und Atomkraft. „Noch bis 2019 waren erneuerbare Energien vom Staat gefördert worden. Doch nun will das Energieministerium die Laufzeit der Kohlekraftwerke um weitere sechs Jahre verlängern. Mit dieser Politik werden die erneuerbaren Energien immer mehr vom ukrainischen Markt verdrängt“, kritisiert Savitsky. Zur Erinnerung: Laut WHO hat die Ukraine die höchste durch Luftverschmutzung bedingte Todes- und Krankheitsrate Europas.

Hoffnung setzen ukrainische Umweltschützer denn auch vor allem in den Westen. „Wenn schon Kredite für die Modernisierung von ukrainischen AKWs gegeben werden, sollte der Westen auch kontrollieren, wie es mit den Modernisierungsmaßnahmen aussieht“, meint Olexi Pasyuk. „Mit der Modernisierung hat man die Laufzeitverlängerung der AKWs gerechtfertigt. Nun aber stellt sich heraus, dass diese Modernisierungsmaßnahmen nur sehr fragmentarisch umgesetzt werden.“ Langfristig erwarten Umweltschützer, dass der Westen dem Land beim Übergang zu erneuerbaren Energien helfe.

In der Ukraine gibt es vier AKWs mit 15 Reaktoren. Sie produzieren mehr als 50 Prozent des verbrauchten Stroms. Bei 11 dieser Reaktoren wurde die ursprünglich auf 30 Jahre angelegte Laufzeit bereits verlängert. Sollte Reaktor 5 wieder ans Netz gehen, wäre es einer mehr.

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2 Kommentare

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  • "... noch nie einen landesweiten Stromausfall gegeben ..."



    das ist nicht der Punkt !

    Wann immer ein KKW vom Stromnetz abgetrennt wird, muss es die Energie für die Kühlanlage selbst erzeugen.



    Wenn das nicht gelingt, tritt zwangsläufig und unabwendbar ein "Fukushima" ein.

    Es gibt noch eine letzte Bastion - die Kondensationskühler- aber selbst die haben beim "Ur-Fukushima" Nichts genutzt.

    Und mal so zum grundsätzlichen Verständnis des Problems:

    In dem Moment, in dem man einen Kernreaktor startet, bilden sich im Inneren [radioaktive] Stoffe die ganz ohne Zutun, spontan und unbremsbar zerfallen und dabei Energie abgeben.



    Das ist die Energie die man zur Stromerzeugung nutzt.

    Aber anders als bei einem normalen Feuer kann man diesen Zerfall nicht stoppen. Man muss warten bis das von allein aufhört und die Energie solange wegschaffen.

    Wenn man den Reaktor anhält, werden kaum noch radioaktive Stoffe gebildet - aber die noch vorhandenen Stoffe geben ja weiter ihre Energie ab. [Restzerfallswärme genannt]

    Die Restzerfallswärme liegt immerhin so bei ca. 10% der Nennleistung.

    Selbst wenn die Brennelemente "ausgelaugt" sind müssen die noch einige Jahre unter Wasser aufbewahrt werden weil die sonst von ganz allein glühend würden [Abklingbecken]

    Selbst wenn die dann in einen Castor-Behalter umgefüllt werden, wird der Behälter außen rund 60- 80°C heiß - also so heiß, dass man sich verbrennt.



    Darum auch die Kühlrippen.

  • Tschernobyl reicht der Ukraine nicht als Erfahrung. Auch hier wird die Atom Energie als CO2 arm gehypt. Welchen strahlenden Müll wir unseren Kindern zurücklassen, sollten jedem klar sein. Und wenn sogar im High Tech Land Japan es zur Katastrophe kommen kann...