AFGHANISTAN: WESTEN MISSBRAUCHT HELFER ALS POLITIKERSATZ: Vorgeführte Ohnmacht
Die jüngste Verhaftung christlicher NGO-Aktivisten in Afghanistan demonstriert erneut die Kompromisslosigkeit der Taliban. Erneut ist die Weltgemeinschaft aufgeschreckt, wie schon im März, als die Taliban die wertvollen Buddhas von Bamian zerstörten. Es sind Akte der bewussten Provokation, eine Rache für die internationale Zurückweisung und die jüngsten UN-Sanktionen, die nicht honorierten, dass die Taliban als eine Geste des guten Willens inzwischen den Opiumanbau verboten haben. Gezielt führen die Taliban die Ohmacht der so genannten Weltgemeinschaft vor.
Denn diese interveniert zwar auf dem Balkan oder in Osttimor – doch die Afghanen werden sich selbst überlassen und müssen ungefragt unter den Taliban leben. Woran die Weltgemeinschaft nicht unschuldig ist: Als Weihnachten 1979 Sowjettruppen Afghanistan besetzten, war das den Falken im Westen nur recht. Seit Vietnam sannen sie auf Rache. Die USA und Saudi-Arabien ließen es sich Milliarden kosten, aus einer islamistischen Mini-Guerilla eine Kampftruppe namens Mudschaheddin zu machen. Zunächst erfolgreich: Die moralisch ausgehöhlte „Rote Armee“ wurde schließlich zum Abzug gezwungen. Dabei wurde jedoch in Kauf genommen, dass die angeblichen Freiheitskämpfer, die so verschwenderisch aufgerüstet wurden, einen extrem reaktionären Haufen darstellten. Die Taliban sind nur dessen jüngste, verkommene Generation. Die demokratischen Kräfte im afghanischen Widerstand gerieten dabei zwischen die Sowjets und die Islamisten, ohne dass der Westen das auch nur zur Kenntnis nahm. Eine unverantwortliche Fehlentscheidung. Dies einzusehen, dafür brauchte der Westen zehn Jahre. Erst mussten Drogenhändler und Mega-„Schurken“ wie Ussama bin Laden für Unruhe sorgen.
Den maßgebenden Regierungen fehlt heute eine Afghanistan-Politik, die einen solchen Namen verdienen würde. Stattdessen wird dürftig improvisiert: Sanktionen (bisher ohne Kontrollen) ersetzen fehlende Konzepte; machtlose UN-Agenturen und NGO-Aktivisten wie die jetzt Verhafteten werden damit betraut, den Kampf gegen die ehemaligen Vasallen aufzunehmen. Die ausländischen Helfer sollen nun ihre Köpfe hinhalten. Das (nicht allzu üppige) Geld, das ihnen die westlichen Regierungen dafür geben, ist der Ablass für die Unterlassungssünden des letzten Jahrzehnts und die mangelnde Strategie.
Eine wirksame Afghanistan-Politik müsste das Problem nicht nur als einen Konflikt zwischen zwei Kalaschnikow-Parteien begreifen, sondern in all seinen komplexen Dimensionen sehen. Dazu gehört der „Spill-over-Effekt“ des Talibanismus, der auch die Nachbarländer beeinflusst; ökonomisch gilt, dass nicht nur die islamistischen Kämpfer, sondern auch Händler, Schmuggler, Militärs und korrupte Beamte am Krieg verdienen. Terrorismus, Drogenhandel und Flüchtlingselend lassen sich nur als Gesamtproblem lösen.
Stattdessen wollen Moskau und Washington mit Sanktionen die Taliban entweder stürzen oder mit (auch humanitärem) Engagement „moderate“ Taliban unterstützen, die allerdings keiner je gesehen hat. Leider widersprechen sich die Konzepte diametral. Zudem hat man das Beispiel Iran vor Augen: Dort dauerte es nach der Islamischen Revolution zwanzig Jahre, bis sich Reformideen in der politischen Wirklichkeit niederschlagen konnten. Und Afghanistans Zivilgesellschaft, die nie sonderlich stark war, liegt wie das Land selbst in Trümmern.
Die durchaus noch vorhandenen demokratischen Kräfte brauchen Beistand, sonst bleiben die Koranschüler auch weiterhin die einzige politische Alternative, bleiben alle westlichen „Strategien“ bloßes Wunschdenken – wie etwa auf einen Aufstand der Hoffnungslosen zu warten. Der Wunsch nach Demokratie ist in Afghanistan so stark wie nie zuvor. Die blutigen Regimes der Islamisten, ob Mudschaheddin oder Taliban, haben dafür gesorgt, dass die Religion als politische Doktrin gründlich diskreditiert wurde. Nur öffentlich äußern kann das niemand – und damit das so bleibt, statuieren die Taliban solche Exempel wie an den vermeintlichen Missionaren.
Nachdem sich die neuerliche Aufregung gelegt hat, wird sich wieder einmal zeigen: Im Westen fehlt der politische Wille zu einem breiten Lösungsansatz, weil er zu viel kostet. Die Afghanen hingegen kostet es nur das Leben. JAN HELLER
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