ABSEITS DER DISKURSE: TERRORFOLGEN SCHAFFEN WELTWEIT LEIDEN: Ignorierte Opfer
Schätzungen, bei denen es um die Folgen der Terroranschläge in den USA geht, sollte zutiefst misstraut werden. Allzu sehr hängt die Antwort auf die Frage, wer und was hineingerechnet werden sollte, vom Standpunkt des Betrachters ab. In Pakistan sind Menschen totgeschlagen worden, nachdem sich dort infolge der Wirren im benachbarten Afghanistan das Klima bedrohlich zugespitzt hat. Sind diese Toten indirekt den Terroristen zum Opfer gefallen? Oder der Politik der USA? Oder dem Kurs der pakistanischen Regierung? Für jede Sichtweise ließen sich Argumente finden.
Die öffentliche Diskussion in Deutschland befasst sich derzeit vor allem mit der Frage, wie eine Militäroperation der USA und möglicherweise einiger ihrer Verbündeten aussehen darf, wenn es denn überhaupt dazu kommt. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht das ethische Problem, ob der Mord an Tausenden von Zivilisten eine Reaktion rechtfertigt, infolge deren noch mehr Unbeteiligte getötet werden. So berechtigt das auch ist: Es lässt die Tatsache außer Acht, dass sich die Frage nach den Folgen des Terrors und den Reaktionen darauf auch jenseits von Militärangriffen stellt.
In Somalia hat die UNO ihre ausländischen Mitarbeiter aus sämtlichen Hilfsprojekten abgezogen. Offiziell wird dieser Schritt mit Versicherungsproblemen beim Flugverkehr infolge der Terroranschläge begründet. Ähnliche Schwierigkeiten kommerzieller Luftfahrtgesellschaften sind von EU-Regierungen mit staatlichen Garantien beantwortet worden. Dafür haben die Vereinten Nationen offenbar nicht das Geld. Dann bleibt ihnen eben nichts anderes übrig, als den Umfang von Hilfsprojekten zurückzufahren.
Aber vielleicht stimmt die offizielle Begründung ja gar nicht. Seit Jahren ist Somalia, dessen staatliche Strukturen infolge des Bürgerkrieges längst zerfallen sind, ein besonders ertragreicher Nährboden für Islamisten – die früher dort über keinerlei Einfluss verfügten. In der Region mehren sich Gerüchte, die Somalia als Ziel eines möglichen US-Militärschlages sehen. Der Abzug der ausländischen UN-Mitarbeiter liefert solchen Vermutungen neue Nahrung.
In der Politik gibt es kaum etwas Gefährlicheres als Gerüchte. Es ist weder sentimental, noch zeigt es Sympathien für Terrorakte, wenn man jetzt Mittel dafür fordert, dass Projekte in Ländern wie Somalia auch dann weitergeführt werden können, wenn sie teurer werden. Das ist nichts anderes als konkrete Krisenprävention. Wer Opfer ignoriert, die nur unspektakulär und wenig fernsehgerecht leiden, schafft neue Probleme. BETTINA GAUS
Die Autorin hat sich bis 1996 als Afrika-Korrespondentin der taz ausführlich auch mit der Lage in Somalia beschäftigt
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