91 Todesopfer in Kundus: Ein Journalist legt sich fest
Nicht "bis zu 142" Tote gab es beim Luftangriff, sondern 91. "Man kann recherchieren, wer dort getötet wurde", sagt Journalist Christoph Reuter, der in Afghanistan lebt.
Wenn am Donnerstag der Untersuchungsausschuss zum Luftangriff von Kundus den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vernimmt, wird eine Zahl wieder präsent sein: "Bis zu 142 Tote" waren Folge des Bombardements. So schreibt es auch die taz, seit der maßgebliche Nato-Bericht die Zahl der Todesopfer mit "17 bis 142" angab. Mit dieser Ungenauigkeit mochte der Journalist Christoph Reuter nicht leben.
Nach monatelangen Recherchen in Kundus legt er sich fest: Laut Reuter wurden 91 Menschen getötet - "vom Kind bis zum Greis" -, als Oberst Georg Klein am 4. September 2009 den Luftangriff auf zwei Tanklaster befahl. "Man konnte und kann recherchieren, wer dort getötet wurde", erklärte Reuter der taz.
Die Dörfer am Kundus-Fluss seien unter Kontrolle der Taliban. Bewohner warnten zu kommen, es sei gefährlich. Dennoch: "Man kann viel mehr darüber wissen, was im Distrikt Chardara los ist." Die Ignoranz der Bundeswehr aber sei tödlich - "für beide Seiten". Dass am Karfreitag 80 Taliban einen Hinterhalt legen konnten, hätte die Bundeswehr wissen können, wenn sie bessere Informanten hätte. Drei deutsche Soldaten starben.
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Das Nicht-wissen-Wollen erlaube es auch erst, dass Afghanistan "bloß Benutzeroberfläche für innenpolitische Auseinandersetzungen" wie etwa im Untersuchungsausschuss werde, sagt Reuter, der als Stern-Korrespondent in Afghanistan lebt. Über seine Recherche hat er ein Buch geschrieben ("Kunduz, 4. September 2009").
Es gibt eine Reihe von Opferzahlen. Das Verteidigungsministerium meldete zunächst 56 tote Taliban. Örtliche Behörden kamen auf 80 bis 90 Tote. Der Bremer Anwalt Karim Popal, der Opferfamilien vertreten will, verdoppelte diese Zahl. Politisch nutzte das zuletzt Exminister Franz Josef Jung (CDU) im Untersuchungsausschuss: "Es gibt so viele unterschiedliche Zahlen", sagte er - und zog so jede Verurteilung des Angriffs in Zweifel.
Reuter arbeitete zeitweise mit der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission zusammen. Diese erstellt derzeit auch die Opferliste für das Verteidigungsministerium, damit dies endlich Entschädigung leisten kann. Reuter sagt, nur er und sein Team jedoch hätten "die Angaben der Dorfbewohner drei-, vier-, fünffach gegengecheckt". Wer aber Taliban gewesen sei und wer nicht - "das ist unmöglich festzustellen".
Vor dem Hintergrund der schwierigen Faktenlage hat der Linken-Abgeordnete Wolfgang Neskovic die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, die Ermittlungen gegen Oberst Klein einzustellen, heftig kritisiert. Neskovic sagte zur taz: "Die Entscheidung ist nicht nachvollziehbar." Die Anwaltschaft "verschanzt sich hinter Geheimhaltungsvorschriften. Es fehlt jedoch jede durch Tatsachen belegte Begründung dafür", dass Klein alles getan habe, um auszuschließen, dass Zivilisten stürben. "Warum schickte er zum Beispiel keine Aufklärungsdrohne?", fragte Neskovic.
Die Union dagegen will nach der Ansage der Bundesanwälte den Untersuchungsausschuss stoppen. "Ich sehe inzwischen keine Notwendigkeit", ihn fortzusetzen, sagte der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich. Er könne sich nicht vorstellen, dass nach dem Guttenberg-Termin noch neue Erkenntnisse hinzukämen.
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