90 zeilen herz: Der Wortbruch und die Grüne Jugend
2018 war ich mir schon sicher, dass es mit den Werten bei den Grünen den Bach runtergeht. Da war ich 14 Jahren und bin aus der Grünen Jugend ausgetreten. Es gab mir in der Jugendorganisation zu wenig Antifaschismus und Kapitalismuskritik, von der Mutterpartei ganz zu schweigen. Seitdem ist viel passiert. Die Grünen sind nicht mehr nur nicht links genug für mich, in der Migrationspolitik haben sie rechts der Mitte angedockt. Neuer Höhepunkt: Habecks 10-Punkte-Plan. Doch gegen die „Sicherheitsoffensive“ gibt es Widerstand in der Partei – von der Grünen Jugend.
Ganz frech präsentierte die Nachwuchsorganisation einfach ihren eigenen 10-Punkte-Plan mit dem Titel „Humanität durch Sozialstaat“. Eine Punktlandung. Statt Forderungen wie der nach einer „konsequenten Abschiebung nichtdeutscher Gefährder und Schwerkriminelle“ zu ventilieren, wird die Partei daran erinnert, dass im Wahlprogramm vereinbart wurde, nicht in Kriegs- und Krisengebiete abzuschieben. „Abschiebungen sind keine Bestrafung und dürfen nicht als solche eingesetzt werden“. Ein linker und grüner Gegenentwurf zum Ein-Wort-Kanzlerkandidaten.
Dieser warb zuletzt mit „Wort statt Wortbruch“ als Schlachtruf gegen Friedrich Merz. Habecks Kritik gegen das Niederreißen der Brandmauer durch die CDU ist durchaus angebracht. Doch es hinterlässt einen faden Beigeschmack, dass Habeck inmitten einer riesigen antifaschistischen Demonstrationswelle nun auch auf Härte in der Migrationspolitik setzt. Da ist es nur folgerichtig, wenn die Grüne Jugend Niedersachsen auf Social Media den Wahlkampfspruch gegen den grünen Kanzlerkandidaten richtet, weil der so gar nicht ihre Politik vertritt. Doch der Post, bei dem der Landesverband Habeck „Wortbruch statt Wort“ vorwarf, wurde nach kurzer Zeit und viel Kritik gelöscht. In einer Instagram-Story zeigte man sich reuig und entschuldigte sich für die Darstellung Robert Habecks, der mit schwarzem Balken über den Augen wie ein Verbrecher rübergekommen war. Zum Inhalt des Posts stehe man indes. Immerhin. Wirklich links zu sein scheint in der Realo-Partei alles andere als leicht zu sein. Die Grüne Jugend jedenfalls war nicht bereit, für den gemeinsamen Wahlkampf politische Überzeugungen zu opfern. Das wurde bei den Grünen nun wirklich viel zu viel und viel zu oft gemacht.
Auch wenn ich meine Entscheidung, die Grüne Jugend zu verlassen, immer noch für richtig halte, habe ich großen Respekt vor allen, die linke Ideale am Leben erhalten – egal in welcher Partei oder Organisation. Es würde mich übrigens nicht wundern, wenn die eine oder der andere aus der Grünen Jugend die Grünen am Ende gar nicht wählen würde.
Fridolin Haagen
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