90 Jahre Opiumgesetz: Der Rausch der Zwanziger
Kokain und Morphium befeuerten in den Roaring Twenties auch das Kulturleben in Berlin. Das Opiumgesetz sollte den Drogenkonsum eindämmen.
Mit bleichen Gesichtern und erschlafften Zügen, die Augen starr und gläsern, hocken die Kokainisten, in sich zusammengefallen, auf ihren Bänken. Im Gegensatz hierzu ist der Morphinist an seinem geröteten, etwas aufgedunsenen Gesicht zu erkennen. Auch seine Augen blicken ins Leere.“ So beschrieb der Berliner Schriftsteller Adolf Sommerfeld in seinem Kriminalroman „Die Tanzdiele am Kurfürstendamm“ die schrecklichen Zustände in einer fiktiven Drogen-„Lasterhöhle“.
Sommerfeld konfrontierte seine Leser damit aber erst im letzten Drittel seines 1923 erschienenen Buches. Diese hatten sich eigentlich schon in Sicherheit gewähnt, war das Buch bis dahin doch eine mit einer harmlosen Krimistory gewürzte Liebesgeschichte.
Doch dann wurde Sommerfeld unvermittelt äußerst streng und beschrieb drastisch den Verfall des Individuums infolge der Abhängigkeit. Kurz mochten da die Leser vor dieser Schocktherapie erschaudern, um sich doch gleich wieder genüsslich eine Tasse Mokka einzuschenken und zur Tagesordnung überzugehen, während ein imaginärer Sommerfeld noch mahnend im Hintergrund lauerte und den Zeigefinger auf diejenigen richtete, die für die Herstellung und den lukrativen Vertrieb der Drogen verantwortlich waren.
Berlin das Sorgenkind
Schon länger beobachtete man im Deutschen Reichstag die Entwicklung des tatsächlich extrem gesteigerten Drogenkonsums im Land mit gerunzelter Stirn. Berlin war das Sorgenkind Nummer eins der etwas ratlosen Politiker, so exzessiv zeigte man sich in der Hauptstadt dem Kokain und Morphium zugetan. Letzteres ist eigentlich ein hocheffektives, aus der Mohnpflanze gewonnenes Opiumderivat namens „Morphin“, das im Lauf der Zeit in der Umgangssprache zu „Morphium“ wurde. Entdeckt hatte den Wirkstoff Friedrich Wilhelm Sertürner bereits 1804. Dass die Droge wegen ihrer auch euphorisierenden Wirkung Eingang in das Leben vieler eigentlich gar nicht kranker Menschen zur Förderung der Kreativität und Steigerung der Energie finden würde, hätte sich der Paderborner Apothekergehilfe wohl nie träumen lassen.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918 war der Bedarf an schmerzstillenden Mitteln, die die oft auch seelischen Qualen der vielen Kriegsverletzten mildern konnten, deutlich erhöht. Was sehr anschaulich auch in der Fernsehserie „Babylon Berlin“ rezipiert wurde: Des Öfteren sucht Kriminalkommissar Gereon Rath in der im Berlin der 1920er Jahre angesiedelten Geschichte eine Apotheke auf und holt sich dort sein Mittelchen, um damit sein ganz persönliches Kriegstrauma zu bekämpfen.
Schmerzmittel und Stimulans. Dabei kam es damals nach Ende des Krieges zu dem seltsamen Phänomen, dass die Droge zunehmend in die Kultur der Hauptstadt einbezogen wurde. 1919 verstörte und faszinierte zugleich ein Stummfilm namens „Morphium“ die Kinogänger. Die Zeit wurde immer schnelllebiger, der künstliche Glücksrausch sollte am besten nie mehr enden, auf einmal war alles „Morphium“: Theaterstücke, Tänze, Pantomime, Sketche, Kurzgeschichten, Romane.
Auch der auf „anrüchige“ Literatur spezialisierte Berliner Kurt Ehrlich Verlag enterte begierig den Drogenzug und ließ den Schriftsteller und Filmregisseur Edmund Edel genüsslich „Sylvia’s Liebesleben“ beschreiben, das natürlich „Die Tragödie einer Morphinistin“ – so der Untertitel – war. Die Kassen klingelten, wenigstens so lange, bis die Zensur einschritt und das Buch schließlich auch verboten wurde.
Verruchte Lasterhöhlen
In den Tageszeitungen wurde den neugierigen Lesern detailliert das „Flair“ der verruchten Lasterhöhlen beschrieben. Auch der Journalist und Schriftsteller Leo Heller befeuerte zuverlässig den Mythos. Er bewegte sich gerne – mit Polizeischutz – in Drogenhöhlen, um dann seine Erlebnisse literarisch zu verarbeiten. Anfang der 1920er Jahre durfte er zum Beispiel den befreundeten Kriminalkommissar Ernst Engelbrecht auf einer Razzia begleiten, das Ziel: die „Kokainhöhle“ um die Ecke. Blitzschnell wurde der Laden hochgenommen, etliche Drogenbosse und -Konsumenten wurden kassiert. Heller beschrieb das in seinem Buch „Berliner Razzien“ als ein veritables Panoptikum: „Die bleiche Pianistin unterbricht ihr Spiel. Vom Lied 'Nur eine Nacht sollst Du mir gehören’ war sie höchstens bis zur Nacht gekommen“, heißt es da. Fast schon Satire.
Die Berliner Polizei war bei der Drogenbekämpfung stark gefordert. Die illegale Einfuhr stellte ein großes Problem dar, Morphiumdiebstähle aus Lazaretten oder Apotheken häuften sich. Bis 1901 war Morphin eine frei verkäufliche Droge gewesen, bis der Deutsche Reichstag beschloss, es nur noch gegen Rezept in Apotheken abzugeben.
Die abschreckende Wirkung war allerdings gering: Manche nahmen sich mit Morphium das Leben, Kriminelle benutzten die Droge, um potenzielle Opfer zu betäuben und auszurauben. Darauf spezialisiert war zum Beispiel Rose Gentschow, Stieftochter eines Danziger Gutsbesitzers, die durch eine schwere Krankheit in Abhängigkeit und dann in eine hoffnungslose Abwärtsspirale geraten war.
Von ihrem Zuhälter wurde sie schließlich dazu angestiftet, Männer anzulocken, sie zu betäuben und dann auszurauben. Doch eines Tages starb dabei in einer Steglitzer Weinstube eines ihrer Opfer, ein Kaufmann namens Hempel, an einer Überdosis. Vor Gericht beteuerte Rose Gentschow weinend ihre Unschuld, es sei doch ein Versehen gewesen. 1924 wurde sie wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Joseph Roth hat den Fall literarisch im Prager Tagblatt in dem Feuilletonartikel „Rose Gentschow“ verarbeitet. „Sie verkaufte sich nur, um sich betäuben zu können“, heißt es darin über die bedauernswerte Kreatur, eine Verlorene der Stadt, die durch das „Morphium der schmerzenden Seele“, wie Roth es auch nannte, eine lebende Tote geworden war.
Das Opiumgesetz
Vor 90 Jahren trat schließlich am 10. Dezember 1929 auch in Deutschland das „Opiumgesetz“ in Kraft. Mehrere internationale Opiumkonferenzen in den Jahren davor hatten dafür den Weg geebnet. Das „Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln“ sollte den Handel und die Produktion von Opiaten und Kokain gesetzlich regulieren. Die wurden nun verschreibungspflichtig, seitdem ist auch Cannabis in Deutschland verboten. Gesetzesverstöße konnten mit Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren geahndet werden.
Für viele Menschen mit „schmerzender Seele“ war das Gesetz allerdings kaum hilfreich. Sie kamen von der Droge einfach nicht mehr los.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag