: 9 Jahre für Anschlag gefordert
■ Stadtamt-Brandanschlag vor Gericht: Täter narzistische Persönlichkeit
Anja S. fuhr am 31. März dieses Jahres mit dem Auto ins Krankenhaus. Dort lag ihr Lebensgefährte Zahar A. mit Verbrennungen im Gesicht und an den Händen. Im Autoradio hörte sie von dem verübten Brandanschlag auf das Stadtamt, den sie sofort mit ihrem Freund in Verbindung brachte. Knapp acht Monate später saß sie gestern als Zeugin vor Gericht. Für wie lange ihr Freund hinter Gitter muß, hat sie gestern nicht mehr erfahren. Die Plädoyers schwankten noch immer zwischen der Anklage auf versuchten Mordes an den Stadtamt-Angestellten seitens der Staatsanwaltschaft (mit neun Jahren Haft), und einer reinen Brandstiftung seitens des Verteidigers (mit zwei Jahren Haft auf Bewährung).
Scheinbar reglos hört sich Zahar A. am dritten Prozeßtag die Schilderungen der Zeugen an. Fest steht, daß Zahar A. mit einem Benzinkanister in die Abteilung Gaststättenkonzessionen ins Stadtamt hineinlief, dort im Raum 8 A Benzin verschüttete, und anschließend mit einem Feuerzeug alles in Brand steckte. „Der Beschuldigte erklärte, er habe das alles nur gemacht, weil er Gerechtigkeit wollte“, erinnert sich der als Zeuge geladene Kriminalbeamte Michael S.. Denn Zahar A. fühlte sich persönlich ungerecht behandelt. Da ein neuer Pächter im Stadtamt keine Konzession für die Kneipe erhielt, die Zahar's Vater gehörte, wurde er wütend. (taz, 19.10.94) Er konstruierte einen Zusammenhang zwischen seiner Weigerung als V-Mann für den Drogenfahnder „Theo“ zu arbeiten, und der ablehnenden Haltung des Stadtamtes.
Die Art und Weise den Vorgang ganz auf sich zu beziehen, sei typisch für die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, stellte der Psychologische Gutachter Doktor Axel Tietgemeier vor Gericht fest. Der Angeklagte habe eine „mißtrauische Grundhaltung gegenüber der Umwelt“ und beziehe die Dinge um sich herum auf sich. „Er neigt dazu narzistisch gekränkt zu reagieren“. Außerdem wurde der Angeklagte durch seinen Kokaingebrauch an dem Tag enthemmt und hatte „erhebliche Einschränkungen seiner Sinneswahrnehmung und Steuerungsfähigkeit“.
Für die Staatsanwältin Düßmann wirkte sich der Kokaingebrauch des Angeklagten zwar als „mildernd“ für das Strafmaß aus. Doch nur die Tatsache, daß die „Taten im Versuchsstadium geblieben sind“, hätte bewirkt, daß sie nicht auf lebenslange Haft wegen versuchten Mordes plädierte, sondern auf einer Strafe von neun Jahren Haft. „Haarsträubend finde ich es, wenn der Angeklagte behauptet, er habe kein Menschenleben schaden wollen“, sagte sie. Denn in der Behörde waren Angestellte, und Publikumsverkehr zugegen gewesen. Außerdem glaubte sie den ZeugInnen, die ausgesagt hatten, daß der Angeklagte eine brennende Zigarette im Mund hatte, während er das Benzin ausschüttete. Und er habe das Benzin gezielt auf die Angestellten geschüttet.
Der Verteidiger Rechtsanwalt Wilfried Behrendt sagte: „Ich weiß, ich greife nach den Sternen“, und plädierte auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung für seinen Mandanten, damit Zahar A. eine Lebensperspektive entwickeln könne. Sein Mandant habe keinen Schaden wollen, und daß die Geschädigten Schmerzensgeld erhalten würden, wäre selbstverständlich, führte er aus. „Ich denke man kann hier fünfe gerade sein lassen“, fand Behrendt. Das Gericht wird sich dazu am Montag, 7.11.94 um 8.45 Uhr äußern. vivA
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