piwik no script img

80 Jahre Auschwitz-BefreiungDie Wahrheit in den Händen halten

In diesen Tagen wird an die Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 erinnert. Beim Auftakt in Berlin fordert Olaf Scholz, wehrhaft zu sein.

Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßt die Holocaust Überlebende Margot Friedländer Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Am eindrucksvollsten waren wohl die Worte von Josefine Präger. „Es ist unfassbar, dass es Leute gibt, die den Holocaust leugnen“, sagte sie während der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz am Donnerstag in Berlin. Präger absolviert beim Autobauer VW in Wolfsburg eine Ausbildung für Büromanagement, in diesem Rahmen hat sie gemeinsam mit anderen Azubis eine Woche lang in dem früheren Konzentrationslager letzte Habseligkeiten von Ermordeten gereinigt und konserviert: Teller, Koffer, Schuhe, viele Kinderschuhe. „Wir hielten die Wahrheit von Auschwitz in unseren Händen“, sagte sie.

In diesen Tagen wird weltweit an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar vor 80 Jahren erinnert. Den Auftakt der Gedenkreihe machte das Internationale Auschwitz Komitee jetzt in Berlin, in der Stadt, in der Auschwitz geplant und organisiert wurde: 6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet, davon 4 Millionen in Konzentrationslagern wie Auschwitz oder Bergen-Belsen, weitere zwei weitere Millionen durch Massaker der Wehrmacht in den besetzten Gebieten.

Die Gedenkveranstaltung in diesem Jahr werden wohl die letzten mit Überlebenden sein, fortan werde es vor allem um das Erinnern und Wachhalten der Geschichte gehen, sagte Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees. Wie recht der Autor zahlreicher Bücher über den Holocaust hat, zeigt eine aktuelle Studie der Jewish Claims Conference: Etwa 40 Prozent der 18- bis 29-Jährigen in Deutschland wissen nicht, dass sechs Millionen Jüdinnen und Juden von Nazis ermordet wurden. Zwei Prozent aller Befragten gaben zu Protokoll, dass der Holocaust nicht stattgefunden habe.

Wie wohltuend sind da junge Menschen wie Josefine Präger, die sich intensiv mit der Geschichte der Shoa und des Holocaust beschäftigen und ihr Wissen weitergeben. Präger erzählte, wie tief der See auf dem Gelände des früheren KZ sie berührt habe. In das Gewässer kippten die Nazis die Asche ihrer verbrannten Opfer. Präger sagte: „Heute ein Ort der Ruhe, vor 80 Jahren ein Ort des Todes.“

„Unsere Kräfte lassen nach, aber nicht unser Wille“

Marian Turski, einer der letzten Auschwitz-Überlebenden und Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees, konnte aus gesundheitlichen bei der Gedenkfeier nicht dabei sein. Seine mahnenden Worte erreichten Berlin trotzdem. Hannah Lessing, Generalsekretärin des österreichischen Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, verlas sie: „Unsere Kräfte lassen nach, aber nicht unser Wille.“ Damit meinte er den Willen, gegen Rechtsradikalismus und Menschenverachtung in Europa und der Welt zu kämpfen. Er erinnerte an das 11. Gebot, das sein einstiger Freund und Vorgänger an der Spitze des Auschwitz-Komitees, Ronan Kent, prägte: „Du sollst nicht gleichgültig sein.“

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz griff das 11. Gebot in seiner Rede auf. Er sagte: „Stehen wir auf und wehren uns.“ Gegen Diskriminierung, Rechtsextremismus und Populismus, „egal, aus welcher Ecke sie kommen, und egal, ob im realen Leben oder im Netz“.

Eine denkwürdige und perfekt orchestrierte Veranstaltung, bei der die PianistInnen Igor Levit und Judit Lukács, Tochter der Auschwitz-Überlebenden Eva Fahidi, und ihren Klavierstücken nicht fehlenden durften.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich wünschte wirklich, Olaf Scholz hätte mit seiner „komplett frei gehaltenen Rede“ nicht nur das zum Ausdruck gebracht, was er sich wirklich von ganzem Herzen wünscht, sondern auch das, wovon ich selbst überzeugt bin: Dass nämlich „wir“ nicht nur „ihr da“ bedeutet, sondern tatsächlich uns alle meint. Leider reicht dafür meine Fantasie einfach nicht aus.

    Gegen Diskriminierung, Rechtsextremismus und Populismus aufzustehen, „egal, aus welcher Ecke sie kommen, und egal, ob im realen Leben oder im Netz“, würde nämlich bedeuten, an alle Menschen den gleichen Maßstab abzulegen. Und zwar unabhängig davon, ob sie reich und mächtig sind oder von anderen abhängig. In der aktuellen Situation ist genau das vollkommen unmöglich. Auch und gerade für einen Kanzler, der wieder vier Jahre lang regieren will über „sein“ Volk.