80. Geburtstag von Jutta Brückner: Kino als Utopie
Erkundungen im Möglichkeitsraum: Zum 80. Geburtstag der Berliner Filmemacherin, Autorin und Wissenschaftlerin Jutta Brückner
„Ich begann das Filmemachen in den 1970ern als Autodidaktin, nachdem ich das Schreiben, das ich längere Zeit betrieb, aufgegeben hatte.“ Nüchterner hat man eine Filmemacherin ihre Anfänge selten beschreiben gehört als mit diesem Satz. Jutta Brückners filmisches Werk ist schmal, umfasst gerade einmal neun Regiearbeiten. Dazu kommen eine Handvoll Drehbücher sowie einige Hörspiele. Nüchternheit hat Jutta Brückner geprägt als Filmemacherin wie als Lehrende. An diesem Freitag feiert die Berliner Künstlerin ihren 80. Geburtstag.
Wer diesen prägenden Eindruck verstehen will, stößt unweigerlich auf die ersten Regiearbeiten von Jutta Brückner: „Tue recht und scheue niemand – Das Leben der Gerda Siepebrink“ (1975), „Ein ganz und gar verwahrlostes Mädchen – Ein Tag im Leben der Rita Rischak“ (1977) und „Hungerjahre“ (1980). Diese drei Filme verbindet ein allmählicher Prozess der Annäherung.
„Tue recht und scheue niemand“ dokumentiert in einer Collage aus Fotos und Gesprächsaufnahmen das Leben von Brückners Mutter. Der Film reiht sich ein in das Interesse an weiblichen Biografien, das eine ganze Reihe von Filmen der Zeit prägte, hebt sich aber auch ab, weil der Film neben dem Porträt auch eine Selbstverortung, eine Selbsterkundung der Filmemacherin ist.
Abgebrochene Projekte
Es passt zu diesem Film, dass Jutta Brückner in einer Selbstauskunft zu ihren Anfängen von einem unrealisierten Projekt schreibt: „Mein erstes Filmprojekt ‚Aufbrüche‘ war so autobiografisch wie meine abgebrochenen Schreibprojekte. In meinem Drehbuch wurde ständig vom Aufbruch geredet, nur fand er nicht statt.“ Brückners erste Filme sind Vorarbeiten zum Aufbrechen, denen das in den Filmen der Zeit so verbreitete Pathos des Ausbruchs fehlt.
„Hungerjahre“ setzt diese Erkundungen im Spielfilm fort. Adenauerland in Schwarzweiß, Jugendjahre einer jungen Frau, die die Enge der Gesellschaft des Muffs zunehmend spürt. Als Filmkritikerin der FAZ wies Gertrud Koch darauf hin, die Stärke der Filme läge darin, „Spuren der 50er Jahre zu folgen vom Sichtbaren ins Unsichtbare, in die Vernarbungen eines Individuums hinein zu den Wundmalen des Subjekts, das Geschichte erleiden muss“.
Innere Prozesse
In den wenigen Jahren zwischen „Tue recht und scheue niemand“ und „Hungerjahre“ hat Jutta Brückner einen Weg gefunden, die inneren Prozesse ihrer Figuren, das wachsende Unbehagen mit der Gesellschaft, die sie umgibt, und die nie einfache Suche nach Ausbrüchen erzählbar zu machen. Dass die weibliche Perspektive auf die Anfangsjahre der BRD in „Hungerjahre“ 1980 ungewohnt war, spricht Bände über die Leerstellen der Filme bis dahin, dass sie heute noch ungewohnt erscheint, ist als Befund nicht weniger erschütternd.
1980, als „Hungerjahre“ fertiggestellt wurde, schreibt Jutta Brückner in einem kurzen Artikel über Filme von Frauen: „Kino von Frauen existiert als Utopie in den unendlichen Schritten der Annäherung. Das Unentwickelte, dessen Form wir nicht kennen, nur ahnen, ist noch keine Alternative zum Bestehenden, sondern ein Defizit, aber kein Defizit zum Realen, sondern ein Defizit zum Möglichen.“ Über all die Jahre haben Brückners Filme, hat Brückner mit ihrer Arbeit als feministische Filmpublizistin, als Lehrende und als Direktorin der Sektion Film- und Medienkunst an der Akademie der Künste dazu beigetragen, das Defizit zum Möglichen etwas zu verringern.
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