: 75mal zugestochen
■ Wegen Totschlags wurde gestern der 23jährige Majed A. zu elf Jahren Gefängnis verurteilt / Aus Eifersucht stach A. auf seinen Bruder ein
Mit einer Freiheitsstrafe von elf Jahren wegen Totschlags ging vor der 28. Strafkammer des Landgerichts gestern der Prozeß gegen den 23jährigen Libanesen Majed A. zu Ende. Er war ursprünglich wegen Mordes angeklagt worden, weil er seinen Bruder nach Auffassung der Staatsanwaltschaft umgebracht hatte, um sein Liebesverhältnis mit der Ehefrau des Getöteten ungestört fortsetzen zu können.
Majed A. war im vergangenen Frühjahr von seinem vier Jahre älteren Bruder Fadi und dessen deutscher Ehefrau Sabine aus dem Libanon nach Berlin geholt worden. Wenig später erfuhr Fadi, daß sich hinter seinem Rücken zwischen Majed und Sabine eine Beziehung entwickelt hatte. Nachdem sich Fadi davon überzeugt hatte, daß die beiden das Verhältnis fortsetzen wollten, kam es zwischen den Brüdern erst zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen. In der Nacht vom 23. zum 24. September 89 endete der Streit auf einem Spielplatz in Lichterfelde für Fadi schließlich tödlich.
Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, die für den Angeklagten gestern eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes forderte, ging das Gericht zugunsten des Angeklagten davon aus, daß dieser sich erst auf dem Spielplatz „spontan“ dazu entschlossen hatte, Fadi zu töten. Bei der Aussprache auf dem Spielplatz sei Majed A. vermutlich erst wirklich klar geworden, daß Fadi ihn töten wolle, um seine Ehre zu retten. Die Kammer ging davon aus, daß Fadi seinem Bruder möglicherweise als erster eine „geringfügige Verletzung“ mit dem Messer an der Hand beibrachte, daß der „richtige Angriff“ aber von Majed ausgegangen sei. Die Tatsache, daß Majed auf seinen Bruder 75mal mit dem Messer eingestochen habe, deute auf eine „affektbedingte“ Bewußtseinsstörung hin, die aber die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit noch nicht rechtfertige. Die Vielzahl der Messerstiche zeuge von einem „unbändigen Vernichtungswillen“, strafschärfend habe sich auch ausgewirkt, daß der eigene Bruder das Opfer war. Im Gegensatz zum Staatsanwalt, der dem Angeklagten „niedere Beweggründe“ unterstellt hatte, schloß das Gericht nicht aus, daß sich Majed aus einer „gewissen Form der Angst“ zu der Tat hinreißen ließ.
Der Verteidiger hatte eine Höchststrafe von drei Jahren gefordert. Er hatte in seinem Plädoyer hervorgehoben, daß der Angeklagte zusammen mit elf Geschwistern im Bürgerkrieg im Libanon aufgewachsen und der Vater durch einen Bombenangriff ums Leben gekommen war. Der Angeklagte habe sich in Deutschland gefühlt wie „ein Außerirdischer“. Majeds Geständnis müsse besonders strafmildernd gewertet werden, weil es für ihn ein langer schmerzhafter Prozeß gewesen sei, die Tötung des Bruders vor sich selbst zuzugeben.
plu
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