70. Geburtstag des Autors Jörg Fauser: Er war der Champ

Gedanken zu einem Schriftsteller, der vielen als uncool galt, aber immer Stil hatte – sowohl im Leben als auch in der Literatur.

Nur „einsame Wölfe“ lasen Fauser. Bild: imago/teutopress

„Literat der Loser“: Der taz-Kollege, der vor zwei Jahren diese Zeile über den Gedenkartikel zu Jörg Fausers 25. Todestag setzte, sagte damit nichts Wagemutiges über den Schriftsteller, der am Mittwoch seinen 70. Geburtstag feiern könnte – wenn er, ja wenn er nicht in der Frühe des 17. Juli 1987 vor einen Lkw geraten wäre, genauer: um vier Uhr, nachdem er seinen 43. Geburtstag gerade zu Ende gefeiert hatte.

Was mir damals durch dieses „Literat der Loser“ aufging, war, dass man Fausers Tod durchaus nicht nur tragisch lesen musste – und zwar unabhängig davon, ob man nun der Theorie anhing, der 1944 ausgerechnet in einem Bad Schwalbach Geborene sei in der Blüte seiner Jahre durch einen jähen Unfalltod aus der Arbeit an seinem dann Fragment gebliebenen Roman „Die Tournee“ gerissen worden; oder der Hypothese, dunkle Mächte (Mafia, Dienste) hätten die Gelegenheit genutzt, einen ’investigativen‘ (ist das nicht jeder, der schreibt?) Journalisten aus dem, sorry, Verkehr zu ziehen; oder ob man in Fauser eben den ewig-todessüchtigen Gottfried-Benn-Jünger und Ex-Junkie sehen wollte, der der Versuchung, mit einem Schritt nach links seinem Leben einen ganz anderen Dreh zu geben, einfach nicht widerstehen konnte.

Fausers Abgang konnte man genauso gut in die einst vom Magazin Mad veröffentlichte Liste uncooler Tode aufnehmen: Erfolgreicher Schriftsteller, endlich gut verdienender Journalist und, Gott ja, glücklich verheirateter Familienvater hat an seinem Geburtstag nichts Besseres zu tun, als schon schwer besoffen in einen Puff in der Münchner Peripherie zu gehen, um dann spätpubertär seinen Rausch nach Hause in die feudale Bogenhauser Altbauwohnung ausgerechnet auf einer innerstädtischen Autobahn auszulaufen.

Vor allem aber dachte ich bei „Literat der Loser“, dass ja ich, der mit meinem Freund Matthias Penzel eine Biografie über Jörg Fauser geschrieben und auf Anfrage immer preisende Worte für ihn gefunden hatte, dann ja einer ebendieser Loser sein musste, den Christiane Rösinger für das Westberlin der späten 1980er Jahre als „männlich, zwischen 25 und 35 Jahre alt und von düsterem, leicht verwahrlostem Äußeren“ beschrieben hat: „In Fauser-Leserkreisen war es nicht en vogue in Gesellschaft lustig, charmant oder gar höflich und unterhaltsam zu sein. Fauser-Leser waren einsame Wölfe, die gern schweigend allein am Tresen vor einem Glas Whisky saßen.“

Aber in den späten 1980er Jahren war ich doch ein in einem Schwabinger Off-Theater-Café abhängender Postabiturient, der die Gesellschaft lustiger Mädchen der trister Buben um Längen vorzog. Gewiss habe ich dort auch erste, ernsthafte Alkoholiker kennengelernt und seit zwanzig Jahren ihre Wunden leckende Alt-68er. Vor allem aber war ich stolz, mit dem fabelhaften Trinker und Dramatiker Martin Sperr an einem Tisch sitzen zu dürfen – und verklemmt-erleichtert, dass seine Anmache nie über ein lustiges „Dich würde ich auch gern mal überbügeln“ hinausging.

Ein Umweg führte zu Fauser

Von Fausers Leben und Tod in meiner Geburtsstadt München habe ich so wenig mitbekommen wie von der ersten Edition seiner Werke, die sein Freund, der Bukowski-Übersetzer und literarische Agent Carl Weissner 1990 herausbrachte. Viel später erst, als ich vor dem totsanierten Apartmenthaus in Schwabing stand, in dem Fauser in den späten 1970er Jahren wohnte, dachte ich, dass ich ihn bestimmt mal gesehen hatte als Kind: ich im „Venezia“ am Kurfürstenplatz (das es noch gibt) Eis schleckend – drei Kugeln 1 DM – und er im Stehausschank gegenüber (den es selbstredend nicht mehr gibt) ein schnelles Bier trinkend, Preis unbekannt.

Jörg Fauser wird am 16.7.1944 in Bad Schwalbach/Taunus geboren. Bereits als Kind wirkt er bei Hörfunkproduktionen mit, als Teenager veröffentlicht er Gedichte und Zeitungsartikel.

Zu seinen ersten Veröffentlichungen zählen „Aqualunge“ (1971), „Tophane“ (1972) und „Die Harry-Gelb-Story“ (1973).

Anfang der Siebziger unternimmt er bereits seinen ersten Drogenentzug, der dank William S. Burroughs’ Ratschlag, es doch mit Apomorphin zu versuchen, tatsächlich funktioniert.

Mitte der Siebziger beginnt er, Hörspiele für den Rundfunk (WDR, BR) zu produzieren und wird Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Gasolin 23. Ab 1980 ist er unter dem Pseudonym „Caliban“ Kolumnist des Berliner Stadtmagazins tip.

Sein erster großer Erfolg ist der 1981 erschienene Kriminalroman „Der Schneemann“. Seitdem wird er als Kriminalautor wahrgenommen – ein großes Missverständnis. Fauser bleibt Undergroundpoet.

1984 erscheint sein autobiografischer Roman „Rohstoff“ (Benjamin Weber)

Und Carl Weissner ist auch schon zwei Jahre tot.

Auf Fauser kam ich dann erst Mitte der neunziger Jahre auf dem Umweg über Jakob Arjouni, dem 2013 verstorbenen Schöpfer der Figur Kemal Kayankaya, dessen Sprüche und Performance so viel mehr Andock- und Identifikationsmöglichkeiten zu bieten schienen als Fausers maulfaule Helden. Arjounis Debüt war 1987 erschienen, in Fausers Todesjahr also. Arjouni war für mich das, was sein Freund, der auch mal wieder zu entdeckende Schriftsteller Ulf Miehe, im Stern Fauser nachgerufen hatte: Er hatte Stil, im Leben und in seiner Literatur. Er hatte den Mythos. Er war der Champ.

In meiner Magisterarbeit über Arjouni schrieb ich, dass Fausers Romane außer dem offen autobiografischen „Rohstoff“ alle gescheitert seien, weil ihre Helden nicht aus ihrer Haut könnten, weil sie dem – bei anderen Autoren seiner Generation gescholtenen – Selbstmitleid nicht entkämen: letztlich Playboy-mäßig getunte Literatur der Innerlichkeit, allerletztlich greinende alte Säcke, die Probleme haben, die keine sind, kurz: Loser-Literatur. Dafür und für anderes bekam ich ein „sehr gut“ – aber das bekam am Ende eines 20-semestrigen Magisterstudiums eigentlich jeder (und in Marburg sowieso).

Wenn ich nun aus dem Gedächtnis den Nobelpreisträger für Literatur, Czeslaw Milosz, zitieren darf: Das Grundproblem eines jeden Dichters ist es, dass er nichts so interessant findet wie die eigenen Zahnschmerzen. Und sich dessen schämt. Und es aber so ist. Und er Gedichte und Geschichten schreiben will oder muss, die jeden angehen sollen, er aber eigentlich nur über seine Zahnschmerzen schreiben will.

Anders gesagt: Als Dichter scheitert, wer keine Schmerzen hat oder wer nicht begabt genug ist, sie wichtiger zu nehmen als die Schmerzen aller anderer Wesen auf dieser Erde. Als Dichter scheitert aber erst recht, wer es nicht schafft, die eigenen Schmerzen zu denen aller Menschen zu machen – eben dafür wurde Kunst erfunden.

Zum 70. Geburtstag ist eine Sonderausgabe der Literaturzeitschrift erschienen, mit Texten von Wolfgang Welt, Mick Wall, Katja Kullmann und anderen.

Die Biographie von Matthias Penzel und Ambros Waibel „Rebell im Cola-Hinterland“ ist als Ebook neu aufgelegt bei CulturBooks erschienen.

Die Veranstaltung: Mittwochabend wird in Berlin Jörg Fausers Geburtstag gefeiert – natürlich auf der Potsdamer Straße. Infos unter www.alexander-verlag.com.

Jörg Fauser, das ist meine leicht deprimierend sozialdemokratische Wahrheit 2014, ist das manchmal sehr geglückt, manchmal etwas weniger.

Das Große an Fauser – SPD-Mitglied – ist, dass er nie aufgehört hat, mit allem, was er aufbringen konnte, danach zu streben, seine Schmerzen zu popularisieren. Daraus entstanden Geschichten: über die, die unten sind, über die, die in der Mitte sind – und zu denen ganz oben wäre er auch noch gekommen: Er warte noch auf den großen deutschen Managerroman, hat er 1984 im Fernsehen gesagt.

Zwischen Männersolidarität und Milieu

Das Loser-Literarische an Fauser, das ihn noch heute und vielleicht und inzwischen auch hoffentlich nie in den inneren Ehrenhain der deutschen Literatur wird Eingang finden lassen, ist also eine Phase. Es ist eine zeitgemäße und zeitweilige Folie für seinen Schmerz, der – Achtung, Literatur ersetzt keine Therapie – aber nicht weg ist, nur weil Romane und Gedichte und journalistische Texte gelingen. Nicht immer kann man sich dem Schmerz stellen und ihn umformen. Man muss auch mal abschweifen, sich gehen lassen, dérive …

Das Uncoole an Fauser muss man heute rekonstruieren. Diejenigen, die ihm den Platz als Autor zwischen Männersolidarität und Milieu, Stehausschank und Bratkartoffelmief zuwiesen, sind vergessen – und sobald die Netzwerke abgestorben sind, wird niemand mehr freiwillig einen Roman von Günter Grass, ein Gedicht von Michael Krüger oder einen Artikel von Willi Winkler lesen.

Das Uncoole an Fauser war, dass er, als er es ab 1968 und folgend wollte, nicht dazugehören konnte zu den Coolen und Schönen seiner Generation. Das Uncoole war, dass er sich dieser Zurückweisung nicht durch die demütige Flucht ins Privatleben, in den Suff oder in den Reiseteil entzog, sondern darauf beharrte, ein Schriftsteller zu sein. Der ganz unverfroren auf ein Lesepublikum setzte, das sich nichts vorschreiben ließ.

Und dieses Publikum erneuert sich beständig, weil all die Emanationen Fausers – Harry Gelb, Blum, Harder, Kant – jenseits ihres gerade im Freitag von Katja Kullmann wunderbar aufgefächerten Mackertums sich als Kunstfiguren über ihre Epoche erheben.

Heute stehen sie nicht mehr für streng riechende 80er-Jahre-Wölfe am klebrigen Tresen, sondern für Einzelne, die sich ihre eigenen Gedanken machen, die der niederschmetternden Konformität entkommen wollen, die ihr eigenes Leben leben und, wenn es sein muss, beenden wollen.

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