68. Filmfestspiele Venedig: Apokalyptisches Autorenkino
Marco Müller beschwört die Intelligenz, Sensibilität und "Zeitgenossenschaft" des Kinos. Als Biennale-Chef nennt er diese Ziele zum letzten Mal.
Unsere Ziele", schreibt Marco Müller in einer kurzen programmatischen Erklärung, "sind die gleichen geblieben: Wir wollen die Intelligenz und die Sensibilität des Publikums mit Bildern herausfordern, die Sie faszinieren, die Sie träumen, aber auch nachdenken lassen." Müller, seit 2004 Direktor der Filmbiennale von Venedig, glaubt offenkundig fest daran, dass sich sinnliche und intellektuelle Freuden und Erkenntnisse nicht ausschließen, und das ist grundsympathisch.
Wenn das Programm der am Mittwoch beginnenden 68. Mostra Internazionale d'Arte Cinematografico den eigenen Ansprüchen gerecht wird, dann stehen elf anregende Festivaltage bevor. Freilich wird diese Mostra die letzte sein, die Müller verantwortet. Im vergangenen Jahr hatte er bereits angekündigt, künftig Filme nicht mehr kuratieren, sondern produzieren zu wollen, auf meine Nachfrage bei der Pressestelle wird mir bestätigt, dass seine Amtszeit in diesem Jahr ausläuft.
Vorgestrige Infrastruktur der Mostra
Auf die Frage, wie es um die Bauarbeiten auf dem Festivalgelände steht, erhalte ich keine Antwort. 2012 sollte ein neuer Palazzo del Cinema mit neuen Sälen und glitzernd-goldener Außenhaut eingeweiht werden, doch im letzten Jahr lagen die Arbeiten brach, nachdem man Asbest im Boden gefunden hatte. Die "Zeitgenossenschaft", die Müller so leidenschaftlich in seiner Erklärung beschwört, steht also im Kontrast zur vorgestrigen Infrastruktur der Mostra. Andererseits gehört es zum Charme dieses Festivals, dass in der Sala Perla Wasser die Leinwand herunterrinnt, sobald draußen starker Regen niedergeht.
Wie es um die Zeitgenosschenschaft dieses Jahrgangs steht, lässt sich vorab natürlich nicht beantworten. Viele Regisseure, die schon oft am Lido zu Gast waren, sind wieder da: Lav Diaz, Frederick Wiseman, Romuald Karmakar, Todd Solondz zum Beispiel. Der Wettbewerb fällt erstaunlich anglophil aus, zehn der 22 Filme stammen von US-amerikanischen, englischen oder kanadischen Regisseuren. Besonders neugierig macht mich "A Dangerous Method", ein neuer Film von David Cronenberg, der von Sabina Spielrein erzählt. Spielrein (1884 bis 1942) war eine der ersten Psychoanalytikerinnen. Als junge Frau war sie Patientin - und Geliebte - von C. G. Jung, später Freundin von Sigmund Freud, und Cronenbergs Film erforscht genau dieses Dreieck.
Sex, Thriller und Comedy
Der britische Künstler und Filmemacher Steve McQueen, zuletzt mit dem beeindruckenden Spielfilmdebüt "Hunger" in Cannes in einer Nebenreihe vertreten, stellt im Wettbewerb "Shame" vor, einen Film über einen New Yorker, der seine Sexualität nicht im Griff hat. William Friedkin steuert den Thriller "Killer Joe" bei, und Roman Polanski hat mit "Carnage" die böse Komödie der Autorin Yasmina Reza verfilmt, "Der Gott des Gemetzels".
Der Eröffnungsfilm "The Ides of March" stammt von George Clooney, es geht um den Vorwahlkampf zweier demokratischer Präsidentschaftskandidaten - einen von beiden gibt Clooney selbst. Die Hauptrolle freilich hat Ryan Gosling inne, er gibt den jungen, ehrgeizigen Wahlkampfstrategen, dessen Ideale, mit der Realität und ihren Machtspielen konfrontiert, nicht lange vorhalten.
Und schließlich ist da noch Abel Ferrara, der seinen neuen Spielfilm, "4:44 Last Days on Earth", vorstellt. Die letzten Tage auf Erden, der Weltuntergang: Das ist im Augenblick ein populärer Stoff. Demnächst ist im Kino zu sehen, wie sich der deutsche Debütfilm "Hell" eine unbewohnbar gewordene Welt vorstellt. Was ist da los? Hat das apokalyptische Denken das Autorenkino infiziert? Wenn ja: Wie zeitgemäß ist das?
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