60 Jahre Panzerkonfrontation in Berlin: Krieg und Frieden
Vor 60 Jahren standen sich amerikanische und sowjetische Panzer am Checkpoint Charlie gegenüber. Ein Lehrstück in Sachen Deeskalation.
„Mit dem Bau der Mauer hatte die DDR Fakten in der Berlin-Frage geschaffen“, sagt die Historikerin Susanne Muhle, die bei der Stiftung Berliner Mauer arbeitet. „Seitdem gab es für die Alliierten mit dem Checkpoint Charlie nur noch einen Grenzübergang. Diese Einschränkung des 4-Mächte-Status haben die Amerikaner hingenommen.“
Eine weitere Einschränkung aber wollten sie nicht mehr akzeptieren. Am 22. Oktober 1961 wollte Edwin Allan Lightner, stellvertretender Chef der US-Mission in Berlin, mit seiner Frau im Ostteil der Stadt ein Theaterstück im Friedrichstadtpalast besuchen. Ein Stück Normalität im abnormalen Alltag der geteilten Stadt. Angehörige der alliierten Streitkräfte hatten laut 4-Mächte-Status das Recht, sich frei in der Stadt zu bewegen – auch in Zivil.
Lightner aber wollten die DDR-Grenzer erst passieren lassen, nachdem er sich ausgewiesen hatte. Das lehnte der US-Gesandte ab und verwies auf das Kennzeichen an seinem VW-Käfer, es trug die US-Nummer B-2000. Doch die Grenzer bestanden auf einer Kontrolle. Lightner wusste um die Provokation und verweigerte sie.
Die Podiumsrunde im asisi-Panorama, bei der Susanne Muhle den Impulsvortrag hält, beginnt Mittwoch um 19 Uhr. Karten gibt es nicht mehr, aber die Diskussion wird live gestreamt auf auf dem Youtube-Kanal des Alliierten Museums.
Die Stiftung Berliner Mauer hat darüber hinaus die App „Cold War Berlin“ veröffentlicht. Dabei werden die Ereignisse vom Oktober 1961 rekonstruiert und anhand eines animierten 3-D-Modells veranschaulicht. Außerdem werden historische Bild-, Film- und Audioaufnahmen veröffentlicht.https://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de/de/cold-war-berlin-2069.html
Moskau in der Zwickmühle
Das ist die Vorgeschichte einer Eskalation, von der Susanne Muhle sagt, dass sie weder von US-Präsident John F. Kennedy noch vom sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow gewollt war. Doch die Staatsoberhäupter der beiden Machtblöcke waren nicht die einzigen Handelnden. Beteiligt waren auch der Kommandeur der US-Streitkräfte Lucius D. Clay sowie der starke Mann der DDR, Walter Ulbricht. „Es waren vor allem die lokalen Akteure, die diesen Konflikt hervorriefen – zunächst Ulbricht und dann auch Clay“, so Muhle.
Tatsächlich hatten die DDR-Grenzer nicht nur kein Recht, Lightner am Grenzübertritt zu behindern. Sie waren aus Sicht der Amerikaner auch gar nicht für die Überwachung der Grenze zuständig. Das war Sache der Alliierten. Die gescheiterte Kontrolle war damit auch der Versuch der DDR, die eigene Souveränität auf Kosten der Sowjetunion zu stärken, eine Politik, die Chruschtschow nicht gefallen konnte.
Doch Chruschtschow hielt still. Moskau war in einer Zwickmühle. Ein Machtwort zu sprechen hätte bedeutet, die Genossen in Ostberlin zurückzupfeifen und einen Riss im Machtapparat des Ostblicks zu offenbaren. Ließ Chruschtschow Ulbricht dagegen gewähren, hätte er die sowjetische Souveränität untergraben. Darüber hinaus ging es Chruschtschow darum, nicht die Gespräche mit den USA zu gefährden, die seit September wieder zur Berlin-Frage liefen.
Panzer am Mehringplatz
In diese diplomatische Pattsituation hinein fiel der zweite Versuch Lightners, die Grenze an diesem Abend des 22. Oktober 1961 zu überqueren. Nun wurde sein VW-Käfer von amerikanischen Streitkräften eskortiert. Mehrfach brachten sie ihn vom amerikanischen Sektor in den sowjetischen und wieder zurück. Auch das eine Provokation, wie auch Lightner wusste. Später sagte er: „Hätten sie auf einen von uns geschossen, wir hätten sie alle töten müssen.“
Verantwortlich für die amerikanische Provokation war General Clay, der Held der Luftbrücke, den Kennedy nach dem Bau der Mauer aus dem Ruhestand geholt hatte. Clay war ein Hardliner. Seine Überzeugung lautete: „Die Russen verstehen nur eine Sprache, und das ist Gewalt.“
Doch es waren nicht die Russen, die den Amerikanern am Checkpoint Charlie gegenüberstanden, sondern die DDR-Grenzer. Die Sowjets kamen erst fünf Tage danach, doch da war die Lage schon eskaliert. Am 25. Oktober hatte Clay Panzer auffahren und zum Checkpoint Charlie rollen lassen. Weitere Panzer waren am Mehringplatz stationiert. Über dem Grenzübergang in der Friedrichstraße kreisten britische Militärhubschrauber. In Moskau kursierte das Gerücht, die Amerikaner wollten die Mauer niederreißen.
Kein Krieg in Berlin
Tags danach schien sich die Situation kurzfristig zu entspannen. Der amerikanische Stadtkommandant hatte seinen sowjetischen Kollegen in Ostberlin besucht, worauf die US-Panzer abgezogen wurden. Als DDR-Grenzer darauf erneut einen US-Offizier in Zivil stoppten, rollten sie am nächsten Tag wieder vor. Das war der Zeitpunkt, in dem auch die Sowjets handelten. Sie ließen ebenfalls Panzer auffahren. So standen sich am 27. Oktober, dem Tag der sogenannten Panzerkonfrontation, zehn amerikanische und zehn sowjetische Panzer gegenüber – und niemand wusste, was passieren würde.
„Die Bilder der Panzerkonfrontation sind weltberühmt“, sagt Susanne Muhle, die zum Jahrestag des Ereignisses am Mittwoch eine Diskussion mit einem Impulsvortrag beginnen wird. „Weit weniger bekannt ist aber das, wofür die Konfrontation auch steht“, sagt sie. „Denn am Ende haben sich beide Supermächte friedlich verständigt.“Das war aber erst möglich geworden, nachdem die Staatsoberhäupter den lokalen Akteuren ihre Grenzen aufzeigten. Über Unterhändler versicherten sich Kennedy und Chruschtschow gegenseitig, keinen Krieg um Berlin zu wollen. Sie vereinbarten, dass die Panzer beider Seiten Meter um Meter zurückweichen sollten. Nach 16 Stunden war der Spuk vorbei. Als kurze Zeit später die Kubakrise ausbrach, bewährte sich die wegen Berlin zwischen Moskau und Washington erprobte Deeskalation.
Dass die Amerikaner diejenigen waren, deren Panzer zuerst auffuhren, ist für Susanne Muhle bei vielen der vier Millionen Besucher am Checkpoint Charlie nicht bekannt. Das Museum des Kalten Krieges, das dort errichtet werden soll, könnte dies ändern. Wichtig sei aber auch gewesen, dass der im letzten Jahr verabschiedete Bebauungsplan zwei Freiflächen am ehemaligen Grenzübergang sichert. „Das ist ein wichtiger Erinnerungsort.“
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