60 Jahre Joschka Fischer: Geburtstag eines Grünen
Joschka Fischer feierte Geburtstag: Steinmeier kam knuddeln, Westerwelle blieb schmallippig - und Ströbele hielt sich an seinem Apfel fest.
Seine Frau Minu Barati saß rechts von Joschka Fischer. Links vom Jubilar saß Bundestagspräsident Norbert Lammert von der CDU und daneben FDP-Chef Guido Westerwelle. Die Plätze, die für das SPD-Spitzenpersonal in der ersten Reihe reserviert waren, blieben frei.
Eine ganze Stunde lang wurde Ex-Außenminister und Grünen-Patriarch Fischer auf dem Empfang zu seinem 60. Geburtstag, den ihm die Grünen-Fraktion am Dienstagabend im Berliner Haus der Kulturen der Welt bereitet hatte, politisch nur von seinen alten Feinden von CDU und FDP eingerahmt. Bis dann ein Helfer endlich den Stuhl mit dem Kärtchen "Dr. Peter Struck" wegtrug und Außenminister Frank-Walter Steinmeier erschien. Beinahe hätte man gedacht, dass die Sozialdemokraten noch nicht einmal mehr zu nostalgischen Feierstündchen mit den Grünen kommen, wo die doch jetzt mit den Schwarzen koalieren.
Emotionale Verwirrungen
Fischer hatte ja schon am 12. April Geburtstag gehabt. Da hatte Minu ihm eine Privatparty mit Prominenten im "Grill Royal" organisiert. Womöglich lag es an der Fülle der Reden, Rückblicke und Porträts, die es anlässlich des runden Geburtstags nun schon gegeben hatte, dass die Beiträge am Dienstagabend so unrund und emotional verwirrend ausfielen.
Fraktionschef Fritz Kuhn wurde nach endlosen Lobhudeleien endlich witzig und bescheinigte Fischer eklatante Mängel im Gender Mainstreaming, sprich in der Anerkennung der weiblichen Emanzipation.
Reichlich zweideutig und mit unklarem Bezug auf die Meinung der Fraktion zu Fischers Privatleben schlug Kuhn dann jedoch den Bogen zur Eigenart des Geburtstagskinds, alle paar Jahre die Freundin zu wechseln und zu heiraten. Minu drohte mit dem Finger. Das war noch höflich von ihr.
Cohn-Bendit gelangte gleich im Anschluss zu mehreren verblüffenden Thesen. Fischer habe früh befunden: "Der Mann ist der Beschützer", was Cohn-Bendit daran festmachte, dass Fischer auf einer turbulenten Frankfurter Demonstration seine damalige Frau verteidigt habe. Außerdem sei Fischer "wie eine Pyramide". An deren quadratischem Boden stünden die Kräfte der Beharrung, "an der Spitze die Radikalität".
"Solidarische Zärtlichkeit"
Nicht zuletzt sei er, Cohn-Bendit, wohl der Einzige, auf den Fischer stets gehört habe. Das rühre von den gemeinsamen Frankfurter Zeiten und existenziell verbindenden Ereignissen in der "Phase der Autonomie" her. Cohn-Bendit sei damals von seiner Freundin verlassen worden. Da habe Fischer ihn mit einer derartigen "solidarischen Zärtlichkeit" getröstet, wie sie die Anwesenden vermutlich nie erlebt hätten. Die grüne Fraktion lachte in ironisch schaudernder Bestätigung.
Der Fraktionsvize und innerparteiliche Gegner Christian Ströbele, apfelkauend fast so spät gekommen wie Steinmeier, stand ungerührt an einem Stehtisch abseits. Sein Apfel war groß und hielt lange vor.
Nachdem Parteichefin Claudia Roth dem dazu in Knitterfalten zusammengesunkenen Fischer in etwa zwanzig Variationen Lust und Freude gewünscht hatte, ergriff er selbst das Wort und setzte zu einem assoziativen Parcours der Mahnungen, Schmerzens- und Zuneigungsbekundungen an. "Mit 60", sagte er dunkel, "schaut man zurück, nicht nach vorn." Die Partei habe ihn oft gequält. Doch "heute ist der Schmerz weg. Wie sehr ich an der Partei hänge, hätte ich nie für möglich gehalten."
Drum musste er dann doch noch ein bisschen nach vorn schauen. Anfang der Woche hatte er erklärt, dass schwarz-grüne beziehungsweise schwarz-gelb-grüne Koalitionen ("Jamaika") auf Bundesebene nun nur noch logisch seien. Offenbar hatten die amtierenden Obergrünen ihn seither angefleht, nicht auch noch auf der gemeinsamen Party ihren aktuellen Spin zu zerdeppern, wonach Schwarz-Grün in Hamburg für den Bund nichts zu bedeuten habe.
Von Chancen und Risiken
Doch war Fischer nicht misszuverstehen. Das kommende Wahljahr 2009, sagte er, "wird große Chancen bringen, aber auch große Risiken". Für die Grünen komme ein neuer Abschnitt. "Es wird schwieriger werden." Er für seinen Teil sei froh, nicht mehr dabei zu sein: "Ich bin ein Rot-Grüner." Sagte er, verlangte etwas zu trinken und setzte sich. Und weil Lammert und der etwas schmallippige Westerwelle dann eilig verschwanden, rutschte Steinmeier vergnügt herbei, damit sich die beiden erst einmal ordentlich knuddeln konnten.
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