6 Prozent Wirtschaftseinbruch erwartet: Die neue Horrorzahl
Jetzt rechnet auch die Regierung mit einem Minus von 6 Prozent. Für die Zukunft bleibt sie aber optimistisch.
Es war einer jener Tage, an denen die deutsche Politik ihrem Volk wieder ein ganzes Stück mehr preisgab vom Ausmaß der Depression, die dem Land noch bevorsteht. Um 6,0 Prozent werde die Wirtschaft in diesem Jahr schrumpfen, erklärte Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Mittwoch bei der Vorstellung der amtlichen Konjunkturprognose - statt, wie bisher behauptet, um 2,25 Prozent. Auf 70 bis 80 Milliarden Euro werde sich die Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr belaufen, verlautete zeitgleich aus Regierungskreisen - statt, wie bislang eingeplant, auf 36,8 Milliarden Euro.
Seit das Bankensystem im vorigen Herbst erstmals am Rand des Abgrunds stand, machen sich Berliner Politiker auf das Schlimmste gefasst. Öffentlich zugegeben haben sie das aber immer nur scheibchenweise. Nicht nur, weil in diesem Jahr Wahlen sind. Sondern auch, weil sich der größere Teil des Publikums immer noch in erstaunlicher Sorglosigkeit wiegt.
So operiert auch Guttenbergs Prognose nur mit dem Produktionsrückgang, der bereits unwiderruflich eingetreten ist. Aufgrund der Einbrüche in wichtigen Branchen sind jene 6 Prozent Minus, von der auch die Forschungsinstitute in ihrer Frühjahrsprognose ausgehen, noch optimistisch geschätzt. "In solch einer globalen Unsicherheit ist mit Sicherheit nichts auszuschließen", gab der Minister immerhin zu.
Es ist bereits das dritte Mal, dass die Regierung ihre Prognose für 2009 nach unten korrigiert. Trotz erster Krisenzeichen aus den USA sagte sie im Sommer vorigen Jahres noch ein Wachstum von 1,2 Prozent voraus, zeitgleich mit dem Bankencrash im Herbst sah sie ein Plus von 0,2 Prozent. Im Januar räumte sie erstmals einen Rückgang ein, bezifferte ihn aber nur auf 2,25 Prozent.
Für die Folgejahre liegt die Vorhersage der Regierung jeweils ein volles Prozent über den bereits recht optimistischen Annahmen der Forschungsinstitute - ein halbes Prozent plus statt einem halben Prozent minus für 2010, jährlich 1,9 Prozent statt 0,9 Prozent für die Jahre 2011 bis 2013. Zumindest für das kommende Jahr erklärte Guttenberg die Differenz mit unterschiedlichen Annahmen über die Entwicklung der Gehälter. Fälschlicherweise gingen die Forscher davon aus, dass sowohl die Stundenlöhne als auch die Arbeitszeit sinken würden. "Die Institute haben einen Fehler in der Rechnung", sagte er.
Der Konjunkturexperte des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Axel Lindner, wies diese Darstellung zurück. "Wir haben uns nicht verrechnet, sondern haben eine andere Einschätzung als die Bundesregierung", sagte er auf Anfrage der taz. Angesichts der Unsicherheit bei den derzeitigen Prognosen handele es sich ohnehin um einen marginalen Unterschied: "Die Differenz zwischen minus 0,5 und plus 0,5 Prozent Wachstum für 2010 ist ziemlich gering - wenn man bedenkt, wie groß die Ungewissheiten über die künftige wirtschaftliche Entwicklung sind."
Selbst wenn die vergleichsweise optimistische Erwartung der Regierung eintrifft, wird die Zahl der Arbeitslosen in diesem Jahr um 450.000 auf 3,7 Millionen ansteigen, im kommenden Jahr sogar um 900.000 auf dann 4,6 Millionen. Von einem Ende der Krise im kommenden Jahr wollte deshalb selbst Guttenberg nicht sprechen: "Das Ende der Krise ist ein Prozess", sagte er. Der Minister antwortete auf die derzeit beliebte Frage, ob die Konjunkturkurve in Form eines V gleich wieder steil nach oben gehen oder sich in Form eines L auf niedrigem Niveau stabilisieren werde: "Wir werden etwas sehen, das mit dem üblichen Alphabet nicht zu beschreiben ist."
Bei der Neuverschuldung in diesem Jahr hatte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) noch am Wochenende von mindestens 50 Milliarden Euro gesprochen. Mit ihren neuen Zahlen nähert sich die Regierung der Prognose der Forschungsinstitute an, die für Bund und Länder zusammen ein Etatdefizit von 89 Milliarden Euro in diesem Jahr und 132 Milliarden Euro im kommenden Jahr erwarten. Das übertrifft den bislang höchsten Wert nach der Wiedervereinigung, als der Bund 40 Milliarden Euro neuer Schulden aufnahm, um ein Vielfaches. Auch nach dem gestrigen Tag bleiben genügend Horrornachrichten übrig, die Berlins Politiker noch verkünden werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?