piwik no script img

■ Urdrüs wahre Kolumne500.000 Tage

Auch mich belästigten dieser Tage an der Wohnungstür junge Halloween-Menschen mit Leuchtkürbissen in der Hand und Gespenstermasken auf dem Kopf mit der USA-mäßigen Aufforderung „Trick or treat“. In Solidarität mit dem Großen Afghanischen Volk kam ich nicht umhin, dieses Ansinnen mit den Worten „Lernt erst mal Deutsch“ zurückzuweisen und meine Restbestände an Marzipan und Werthers Echte bis zum Nikolauslaufen zu bunkern.

Dass der lauschige Rhododendron-Park jetzt als „Rhopag“ mit „Offenheit gegenüber privaten Betreibern“ reussieren soll, entspricht exakt dem Denken jener, die Becks Bier aus dem frittenölverseuchten Interbrew-Fass strömen lassen wollen. Es wird sich nicht durchsetzen, aller bösen Absicht zum Trotz!

Schade, dass dieses Blatt versäumt hat, die Rufnummer des vertraulichen Hinweistelefons beim Landesamt für Verfassungsschutz zu veröffentlichen - man hätte diesen Bürgernotruf doch so schön nutzen können. Tipps auf verkehrswidrig parkende Limousinen der Besserverdienenden, gezielte Infos über die Machenschaften auf der Bremer Rennbahn, Ärger über abgelaufene Joghurt-Spezialitäten im Pupsi-Markt, kurz: die Schleichmichel als Ombuds-Hampelmänner des gemeinen Bürgers. Ansonsten sieht es vor jeder Crepes-Bude im Puderzucker-staub immer so verdächtig nach Milzbrand aus, Kuno Böse röhrt wie ein Opfer der ansteckenden Maul- und Klauenseuche, und wirkt manche Partnerschaftsanzeige nicht wie eine geheime Botschaft der Taliban an hiesige Schläfer? Kurz: Wer den aufmerksamen Bürger aktivieren möchte, soll nicht ungetröstet bleiben. Falls die Schlapphüte dann in dieser selbst stimulierten Datenflut ersticken, bleibt ihnen immer noch das Bewusstsein, in freudig erfüllter Pflicht dahin geschieden zu sein.

Im Dörfchen Exten unweit meiner Heimatstadt Rinteln kam ausgerechnet am Weltspartag ein mit amtlich verkehrt herum aufgesetzter Baseball-Deppenkappe kostümierter Bankräuber an den Tresen und musste sich nach seiner mit Pistole vorgetragener Bitte um Bargeld vom Personal belehren lassen: „Heute nehmen wir nur Einzahlungen an“ und konnte demzufolge nur ungetröstet nach Hause gehen. Hätte dieser junge Mensch sich rechtzeitig von Günter Jauch über das Prinzip Schlafmünzen aufklären lassen, er hätte sich bestimmt einen anderen Tag für sein Vorhaben ausgesucht.

Der Castortransport bei Hude gestoppt, wenn auch nur zwanzig Minuten lang. Respektvoll ziehen wir den Hut vor jenen Blockadeuren, die sich trotz kühler Witterung zur Propaganda der Tat zusammenfanden, empfehlen für künftige Aktionen dieser Art, auf warme Unterwäsche nicht zu verzichten und haben schon mal überschlagsweise ausgerechnet: Wenn 35 Menschen den Zug zwanzig Minuten aufhalten, könnten 35 Millionen Menschen für eine Verzögerung von .... also jedenfalls ungefähr 500.000 Tagen sorgen. Deshalb: nicht nur den Hut ziehen, sondern auch den Arsch gebrauchen!

Meinem Ziel, das Mjusical-Theater am Richtweg als Intendant zu übernehmen, komme ich von Tag zu Tag näher. Nehme daher schon mal Angebote von Freien Theatergruppen, Gauklern und Piratinnen an, die das Haus mit mir gemeinsam bespielen wollen. Vorstellungstermin wäre zum Beispiel heute um 20 Uhr in der GaDeWe, wo beim Kabarett der Literarischen Gewalttätigkeiten ein öffentliches Casting durchgeführt wird. Solides antiimperialistisches Grundwissen über die Verderbtheiten dieser Welt ist allerdings unverzichtbare Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit! Mahnt zu kritischer Selbsteinschätzung

Ulrich „Hair Cut“ Reineking

PS: Kann nicht jemand mal ein besorgtes Auge auf Josef „Ehrenmann“ Hattig haben? Der bringt's doch im Gegensatz zu Klaus „Peter“ Schulenberg fertig und zieht aus all den Pleiten und Pannen persönliche Konsequenzen. Die Kerbe können wir an unserem Colt nun wirklich nicht gebrauchen ...

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen