500 zusätzliche Stellen für Inklusion: Weiterbildung soll es richten
Für das gemeinsame Lernen behinderter und nicht behinderter Kinder will Schleswig-Holstein Stellen aufstocken. Aber es gibt nicht genug SpezialistInnen
HAMBURG taz | Sie nennt es „Bildungsoffensive“: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) will in den kommenden Jahren 500 zusätzliche Stellen für SonderschullehrerInnen und PädagogInnen schaffen. Das soll helfen, die Inklusion besonders förderungsbedürftiger Kinder an den staatlichen allgemeinbildenden Schulen des Bundeslandes hinzubekommen.
Auf 25 Millionen Euro jährlich beziffert die Ministerin die Kosten für diese Aufstockung. Das aber sei aufgrund der guten Haushaltslage finanzierbar, kündigt Ernst an. Der Opposition kommt das Ganze zu spät: „Beschämend“ nennt es die bildungspolitische Sprecherin der Landtags-FDP, Anita Klein, dass Ernst zwei Jahre Amtszeit benötigt habe, um zu erkennen, „dass Inklusion auch mehr Personal benötigt“.
Dass Ernst nun in die Offensive geht, liegt zum einen an der Landtagswahl im Mai kommenden Jahres. Als „Aufgabe auch für die kommende Legislaturperiode“, so Ernst, hat die Ankündigung also Wahlkampfcharakter. Zum anderen resultiert der Zeitpunkt aus einem von der Ministerin in Auftrag gegebenem Gutachten, das nun vorliegt. Darin empfiehlt der Bildungsforscher Klaus Klemm just eine Personalaufstockung, wie sie jetzt angekündigt wurde. Seinem Auftraggeber fällt Klemm dabei nicht in den Rücken. So erwähnt er an keiner Stelle explizit, dass die von ihm geforderten Planstellen im Umkehrschluss derzeit fehlen.
Das werden sie noch länger tun: Für das Schuljahr 2017 /2018 sollen erst einmal nur 50 der geplanten 500 Zusatzstellen kommen – mehr Fachpersonal ist aber auch gar nicht auf dem Markt. Weil SonderschullehrerInnen rar sind, setzt Ernst auf Weiterbildung. Innerhalb eines Jahres sollen sich etwa GrundschullehrerInnen am Abend und am Wochenende in Kursen weiterbilden lassen. Diesen Turbo-SonderschulpädagogInnen winkt zur Belohnung der Aufstieg in die nächst höhere Besoldungsklasse.
Derzeit werden in Schleswig-Holstein 12.000 Kinder mit besonderem Förderungsbedarf an den staatlichen Regelschulen und Privatschulen beschult. Dafür sind – neben den RegelschullehrerInnen – 1.800 SonderschulpädagogInnen und 260 ErzieherInnen zuständig.
Die von Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) geplante Weiterbildung „Grundlagen in der Sonderpädagogik“ soll das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) in Kronshagen besorgen.
„Gute Inklusion braucht SonderpädagogInnen und keine PädagogInnen mit Zusatzqualifikation“, sagt Heike Franzen, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Die Zahl der Studienplätze stagniert seit Langem. In den vergangenen Jahren musste die Flensburger Uni zwei Drittel der BewerberInnen für den Studiengang Sonderpädagogik ablehnen. Franzen fordert daher nun einen zusätzlichen Lehrstuhl und damit auch mehr Studienplätze. Auch diese Maßnahmen greifen aber nur langfristig – und sind kein Bestandteil des jetzt vorgestellten Maßnahmenpakets.
Die neuen PädagogInnen sollen hauptsächlich an den Grund- und Gemeinschaftsschulen arbeiten, wo die meisten Kinder mit Sonderförderbedarf lernen. Davon lernen an Schleswig Holsteins öffentlichen Schulen rund 15.500. Fast 10.500 dieser Kinder werden an den Regelschulen inklusiv beschult. Damit bleiben gut 5.000 Kinder aber weiterhin in Förderzentren, im Grundsatz also das, was in anderen Ländern Sonderschule heißt.
Niedersachsen holt auf
Mit einem Inklusionsanteil von 67,2 Prozent bei den besonders förderungsbedürftigen Kindern liegt Schleswig-Holstein bundesweit durchaus vorne: hinter Spitzenreiter Bremen mit einer Quote von 77 Prozent und immer noch vor Hamburg (59 Prozent). Niedersachsen – mit einer Inklusionsquote von rund 23 Prozent im vergangenen Jahr bundesweit noch an vorletzter Stelle – hat inzwischen aufgeholt: Mit 31,4 Prozent belegen die Niedersachsen aktuell den zehnten Platz im Inklusions-Ranking der 16 Bundesländer und Stadtstaaten.
Auch hier gebe es einen riesigen Aus- und Weiterbildungsbedarf im Bereich Sonderpädagogik, um die Inklusion zu schultern, sagt der Oldenburger Erziehungswissenschaftler Heinrich Ricking. Nun setzt aber auch Niedersachsen im Rahmen einer „Qualifizierungsoffensive Inklusion“ vor allem auf die Fortbildung des schon vorhandenen pädagogischen Personals. An 600 Grundschulen finden derzeit schulinterne LehrerInnenfortbildungen zur Inklusion statt, in denen zeitgleich 7.500 Grundschullehrkräfte auf die Aufgaben vorbereitet werden sollen, die mit der inklusiven Schule einhergehen.
Das Lehrprogramm setzt sich zusammen aus jeweils zweitägigen Fortbildungen zu Teilaspekten der inklusiven Schule. Niedersachsens Bildungsministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) sieht das Land „mit dem Fortbildungskonzept Inklusion“ gar schon als „Vorreiter in Deutschland“ Richtig ist: Nirgendwo in Deutschland wird es nach dieser Offensive mehr „SonderpädagogInnen light“ geben als in Niedersachsen.
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