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Foto: Diego Cupolo/Zuma Press/imago

50 Jahre Zypern-TeilungEine Insel, keine Lösung

Nach einer türkischen Offensive am 20. Juli 1974 wird Zypern zweigeteilt. Bis heute bestimmt die Trennung den Alltag der Menschen.

Von Ferry Batzoglou aus Kaimakli, Famagusta und Lefkosa

D ie Sirenen heulen. Um 8.20 Uhr ertönen sie an diesem brütend heißen Montag in Kaimakli, einem nordöstlichen Vorort von Zyperns Hauptstadt Nikosia. Kein Mensch auf der Straße reagiert. Das Leben geht seinen gewohnten Gang. Die Leute wissen: Heute ist keine Gefahr. Das war vor – auf den Tag genau – 50 Jahren ganz anders. Die Sirenen erinnern an den Staatsstreich vom 15. Juli 1974. Die Putschisten wollen die Vereinigung mit Griechenland. Den Putsch führen die zyprische Nationalgarde und Mitglieder der berüchtigten EOAKA-B, einer ultranationalistischen paramilitärischen Organisation der Zyperngriechen, auf Geheiß der Athener Militärjunta durch. Ihr Ziel ist es, Zyperns gewählten Präsidenten Erzbischof Makarios III. zu stürzen.

Makarios steht im Streit mit den Athener Obristen. Kompromisslos fordert er die Selbstbestimmung der Völker, den Abzug der griechischen Offiziere von Zypern und übt harsche Kritik an der Athener Militärdiktatur. Den USA ist der „Fidel Castro des Mittelmeers“, der sich der Bewegung der Blockfreien Staaten anschließt, sowieso nicht geheuer. Die Supermacht will zwar keinen Krieg zwischen zwei Nato-Mitgliedern, Griechenland und der Türkei, den beiden Garantiemächten der noch jungen Republik Zypern. Sehr wohl wollen die USA aber die Absetzung von Erzbischof Makarios. Hinter den Kulissen unterstützt die CIA den Staatsstreich der Griechen und eine türkische Invasion auf der Insel, um die Rolle der Türkei, ein Schwergewicht in der Nato, in der Region zu stärken. Gekonnt setzt Washington Akteure aller Seiten als Werkzeuge und Schachfiguren ein.

Die Ereignisse überschlagen sich. Erzbischof Makarios flieht nach Paphos im Inselsüden. Nach einer abenteuerlichen Flucht erreicht Makarios New York. Dort nimmt er am 19. Juli an der Sitzung des UN-Sicherheitsrats teil. Unverhohlen prangert er die Athener Junta an, wirft ihr ohne Umschweife eine Invasion vor. Am 20. Juli 1974 greift die Türkei auf Zypern ein. Ankara beruft sich auf Artikel 4 des Garantievertrags zu Zypern. Türkische Truppen landen im Morgengrauen im Norden der Insel. Im Eiltempo besetzt das türkische Militär in der Operation Attilaetwa sieben Prozent der Inselfläche. In einer zweiten Offensive, Attila II, bringen die türkischen Truppen vom 14. bis 18. August weitere 30 Prozent der Inselfläche unter ihre Kontrolle.

50 Jahre später empfängt der Zyperngrieche Pater Marios im Herzen von Kaimakli in seinem kleinen Beichtzimmer im Untergeschoss der mächtigen Kirche Aghios Polydoros. Er ist ein großgewachsener Mann, mit einem für orthodoxe Priester typischen Rauschebart. Soeben hat ihm eine Mitvierzigerin ihre Sünden gebeichtet. „Wer beichtet, muss Reue zeigen. Wir Priester sind nur der Überbringer der Erlösung von den Sünden“, sagt der 62-Jährige. Der Namensgeber der Kirche in Kaimakli, ein Händler, der lange nach seinem Tod heilig gesprochen wurde, sei 1794 von den türkischen Herrschern erhängt worden, erklärt er. „Er wollte kein Muslim sein, sondern Christ bleiben. Dafür brachten ihn die Türken um“, erzählt der Pater ehrfürchtig. Zum 20. Juli 1974 erzählt er: Die türkische Armee wollte damals Kaimakli komplett erobern. Jedoch ohne Erfolg. Nur die Ackerflächen, die die Bewohner von Kaimakli bis dahin bewirtschafteten, brachten sie unter ihre Kontrolle.

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Nach der türkischen Offensive wird Zypern geteilt. Rund 160.000 Zyperngriechen werden aus dem Inselnorden in den Inselsüden vertrieben, Tausende Zyperntürken verlassen den Inselsüden in Richtung Norden. Die Zyperngriechen kontrollieren den Inselsüden, die Zyperntürken den Inselnorden. Das ist bis heute so. Die 1983 ausgerufene „Türkische Republik Nordzypern“ wird nur von der Türkei anerkannt. Die Republik Zypern wird 2004 EU-Mitglied und tritt 2008 der Eurozone bei. Die letzten bilateralen Gespräche zur Lösung der Zypernfrage scheitern Mitte 2017. Die Türkei will eine Zwei-Staaten-Lösung, das lehnt die Republik Zypern jedoch vehement ab. Der Inselnorden zählt 350.000 Bewohner, die Türkisch sprechen und fast alle Muslime sind. Der Süden hat 900.000 Bewohner, die Griechisch sprechen und fast alle orthodox sind. Nikosia ist die letzte geteilte Hauptstadt der Welt.

„Die Türkei will sich ganz Zypern einverleiben“, sagt Pater Marios, der orthodoxe Priester der Kirche in Kaimakli Foto: Ferry Batzoglou

„1974 fand auf Zypern eine ethnische Säuberung statt“, unterstreicht Pater Marios. Das habe nicht nur die Zyperngriechen betroffen, die aus dem Norden in den Süden flohen. Er kenne eine türkischzypriotische Familie aus Paphos, einer Stadt im Südwesten des Landes. „Sie wollten nicht weg. Sie haben geweint, als sie ihr Haus verlassen mussten.“ Es gab aber auch eine Zeit, da waren die Fronten weniger verhärtet. „Wir lebten friedlich mit den Zyperntürken zusammen. Wir waren Freunde“, erinnert sich Pater Marios. Das war vor den Unruhen 1963, in denen die Gewalt zwischen griechischen Zyprioten und türkischen Zyprioten erstmals gewaltvoll eskaliert. Dann habe die Türkei den Zyperntürken immer mehr die Marschrichtung vorgegeben, sagt er.

Der Westen habe Ankara dabei freie Hand gelassen, die Türkei „aufgeweckt und angestachelt, auf Zypern aktiv zu werden“, ätzt er. Für den Geistlichen ist damals wie heute klar: „Die Türkei will sich ganz Zypern einverleiben. Ihr Motto lautet: ‚Die Insel gehört uns!‘ Werde diesem Bestreben nicht Einhalt geboten, seien hernach Kreta oder andere Regionen dran, fürchtet Pater Marios. „Die Lösung des Zypernkonflikts ist nicht eine Sache zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken, sondern hat vor allem mit der Türkei und ihrem stetigen Expansionsdrang zu tun.“

Der Umstand, dass die Flagge der „Türkischen Republik Nordzypern“ (TRNC) von den dortigen Behörden an den Hängen des Berges Pentadaktylos in einer riesigen Gesamtfläche nachgebildet wurde, um überall sichtbar zu sein, ist für Pater Marios bloß „ein Provisorium“. Der Pfarrer übt sich in Geduld. „Wir haben auf Zypern 300 Jahre Osmanenherrschaft überstanden. Wieso sollen dann 50 Jahre viel sein?“

Famagusta (griechisch: Ammochostos) ist eine pulsierende, 55.000-Einwohner-Stadt an Zyperns Ostküste. Hier lebt Deniz Altiok, nur 50 Kilometer Luftlinie von Kaimakli und Pater Marios entfernt. Die junge Zyperntürkin und den altgedienten orthodoxen Priester aus Kaimakli trennt die von der UN bewachte „Grüne Linie“, eine Pufferzone zwischen dem Inselnorden und Inselsüden. Dabei hat Altiok als Kind türkischer Zyprioten, die schon seit Generationen auf Zypern leben, den gleichen Pass wie Pater Marios: jenen der Republik Zypern, die Freizügigkeit in der EU inbegriffen.

Wer jedoch erst nach Zyperns Teilung vom türkischen Festland in den Inselnorden entweder auf Anordung aus Ankara oder freiwillig kam, ist aus Sicht der Republik Zypern ein „Epikos“ („Siedler“). Ihm und seinen Nachfahren wird daher – anders als bei Altiok und Co. – die Staatsangehörigkeit der Republik Zypern verwehrt. Die türkischen Siedler im Inselnorden samt ihren Nachfahren sollen über 100.000 Bewohner sein. Bei der Suche nach einer Lösung im Zypernkonflikt ist die Staatsangehörigkeit ein großer Konfliktpunkt.

Ihr Vater sei kurz vor Kriegsausbruch von seiner Heimatstadt Paphos in den Inselnorden geflohen, erzählt Deniz Altiok. „Er ahnte, dass etwas passieren würde. Er wollte nicht kämpfen, für keine Seite. Er wollte nicht Teil des Konflikts werden“, sagt die 31-Jährige. Ihre Mutter, eine überzeugte Linke, stammt aus Larnaka im Inselsüden. Zum Zeitpunkt der Ereignisse im Sommer 1974 auf Zypern sei sie Studentin in der Türkei gewesen. Deniz’ Mutter leistete dort Widerstand gegen die türkische Militärjunta, während in ihrer Heimat Zypern die Athener Obristen ihr Unheil trieben. „Meine Familie glaubte immer an den Frieden. Das hat mich stark geprägt“, sagt Deniz Altiok.

Als Deniz Altiok 1993 zur Welt kam, war die „Türkische Republik Nordzypern“ (TRNC) schon zehn Jahre alt – für die Zyperngriechen schlicht ein „Pseudo-Staat“. Sie studierte in Kent Jura. Erst im Süden Englands, als sie mit Zyperngriechen an der Universität in direkten Kontakt kam, wurde ihr die Teilung Zyperns bewusst. „Ich hatte nie eine Grenze im Kopf. Die Zyperngriechen sind hingegen in ihrem Narrativ aufgewachsen. Für sie sind wir Zyperntürken die Bösen. Anfangs war ich verärgert. Ich fragte mich: Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich falsch aufgewachsen?“ Mit der Zeit näherten sie sich jedoch an. „Wir wurden sehr enge Freunde, waren gemeinsam mit den Zyperngriechen in der Zyprischen Studentenschaft.“

Nach ihrem Studium kehrt sie nach Zypern zurück, tritt seither für Migranten und Menschen aus der LGBTQIA-Community ein. Sie fungiert in der Plattform für Menschenrechte mit Sitz in Nord-Nikosia, das türkisch Lefkosa heißt, als Koordinatorin im Programm Anti-Trafficking und Flüchtlingsrechte. Die Lösung des Zypernkonflikts sei für die Zyperntürken „keine Priorität mehr“, offenbart Altiok. Das gelte auch für sie. Früher sei die Suche nach einer Lösung hierzulande das Thema Nummer eins gewesen. „Das ist vorbei. Wir sind zwar mit der aktuellen Situation nicht zufrieden. Zugleich tun wir aber nichts, um die Dinge zum Besseren zu verändern. Nicht auf der Straße, nirgendwo.“ Sie habe ihre Hoffnung auf eine Lösung verloren.

Im Inselnorden treibe der Alltag die Menschen um, so Deniz Altiok. „Wir werden immer ärmer. Wir versuchen nur zu überleben, irgendwie durch den Tag zu kommen.“ Vor allem die galoppierende Inflation belastet. Sie resultiert aus dem enormen Wertverlust der türkischen Lira, im Norden Zyperns die offizielle Währung. Geht es mit der türkischen Lira bergab, dann ist auch der Norden Zyperns unmittelbar davon betroffen.

Die Zyperntürkin Deniz Altiok lebt in Famagusta und arbeitet für eine NGO, die sich für Flüchtlingsrechte einsetzt Foto: Ferry Batzoglou

Omac Cin treiben andere Dinge um. In seinem weitläufigen Verkaufsraum in einem unscheinbaren Gebäude in Lefkosa stehen schicke Sofagarnituren, hochwertige Betten, massive Tische, bunte Stühle. Der 59-Jährige macht es sich auf einem Sofa gemütlich. Er verkaufe eingeführte Möbel, habe zudem eigene Fertigungsstätten, sagt er. Die importierte Ware komme aus der Türkei, seine produzierten Möbel verkauft er nur im Inselnorden. „Ich würde meine Möbel gerne auch im Inselsüden verkaufen. Das geht aber nicht.“ Die simple Logik: Produkte aus Nordzypern dürfen nicht in den Inselsüden, die übrige EU und fast überall auf der Welt ausgeführt werden, weil die „Türkische Republik Nordzypern“ außer für die Türkei gar nicht als Land existiert. Dabei hat Omac Cin einträgliche Geschäfte in neuen, viel größeren Absatzmärkten als im Niemandsland Nordzypern bitter nötig. Der bisher boomende Immobiliensektor, ein wichtiger Pfeiler der Wirtschaft im Inselnorden, ist in unruhiges Fahrwasser geraten.

Denn Zyperns Behörden gehen zuletzt hart gegen Personen vor, die im Norden Zyperns Immobilien verkaufen oder bebauen. Diese Immobilien gehören trotz der faktischen Teilung der Insel weiter ihren rechtmäßigen zyperngriechischen Eigentümern, die im Sommer 1974 aus ihren Häusern im Inselnorden in den Inselsüden flohen. Zuletzt blühte das Geschäft mit diesen Liegenschaften im Norden, sehr zum Verdruss der rechtmäßigen zyperngriechischen Eigentümer. Sie wollen nicht, dass ihr altes Eigentum im Inselnorden von anderen illegal erworben oder genutzt wird.

Erst kürzlich wurde eine 49-jährige Deutsche auf dem Flughafen von Larnaka verhaftet, die im Immobilienmarkt im Norden Zyperns aktiv ist. Ferner nahm die zyprische Polizei den israelischen Geschäftsmann Simon Mistriel Aykut fest, ein großer Fisch in der Branche. „Das ist ein Erdbeben in unserer Immobilienbranche“, legt Möbelverkäufer Cin den Finger in die Wunde. Die Turbulenzen treffen ihn mit voller Wucht. Ohne neue Wohnungen braucht man keine neuen Möbel. Cin bleibt nun buchstäblich auf seiner Ware sitzen.

Die Missstände in Sachen Liegenschaften im Inselnorden sind auf der Suche nach einer Lösung im Zypernkonflikt ein zweiter chronischer Streitpunkt zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken. Umgekehrt könnte eine Lösung im Zypernkonflikt diese Missstände abstellen. Doch ein Einvernehmen ist nicht in Sicht.

Der Möbelverkäufer Omac Cin würde seine Produkten auch gerne im Süden der Insel verkaufen Foto: Ferry Batzoglou

Die Öffnung der Republik Zypern für Waren aus dem Inselnorden wäre in seinen Augen der erste Schritt, um die Teilung der Insel endlich zu überwinden, so der Vorschlag von Unternehmer Cin. „Wir würden mehr Geld verdienen und so zum Süden aufschließen. Nur so können wir auf gleicher Augenhöhe mit den Zyperngriechen zusammenleben.“ Andernfalls bestünde für die Zyperntürken die Gefahr, vom bevölkerungsreichen und wohlhabenden Süden „geschluckt“ zu werden.

Cins Sicht der Dinge hat Gewicht. Er ist Präsident der türkischzypriotischen und zugleich Co-Präsident der gemeinsamen türkischen und türkischzypriotischen Handelskammer. Einer Zweistaatenlösung erteilt Cin eine Absage. „Zypern ist zu klein, um zwei Staaten Platz zu bieten.“ Eine baldige Lösung im Zypernkonflikt sieht er nicht. Gleichzeitig betont er: „Einen Krieg zwischen Zyperngriechen und Zyperntürken wie 1974 darf es nie wieder geben.“

Die gleißende Sonne, die genau 50 Jahre nach dem Putsch auf Zypern unbarmherzig auf Kaimakli brennt, geht gerade unter. Eine Mauer, etwa vier Meter hoch, wirft immer längere Schatten. Verfallene Gebäude, eine unbebaute Fläche, überall Unkraut, das keiner jätet, ein Stoppschild. Die Georgios-Griva-Digeni-Straße, benannt nach dem Gründer der EOAKA-B, der Putschisten, endet hier, an der Grünen Linie zwischen Groß-Kaimakli und Klein-Kaimakli. Für Tasos Lamnisos alias X.YPNO, das auf Griechisch „Ich wache auf“ bedeutet, ist das die ideale Kulisse. Der 25-jährige hat einen Lockenkopf, trägt eine Halskette, dunkles T-Shirt, kurze Hose, und ist Rapper. Was ihn von anderen unterscheidet: Er singt im zyprischgriechischen Dialekt. Es ist ein Ein-Mann-Auftritt. Er spielt Synthesizer, trägt Gedichte vor. Freunde, Bekannte, antifaschistische Mitstreiter lauschen. Nach einer Viertelstunde ist sein Auftritt vorbei. Applaus brandet auf.

„Mir ist es wichtig, im zyprisch-griechischen Dialekt zu rappen, nicht in Neugriechisch, das in Hellas gesprochen wird. Wir Zyprer sprechen im Alltag alle den Dialekt. Das tue ich in meinen Liedern“, sagt er. Immer wieder setzt sich der Rapper mit Zyperns Teilung auseinander. In einem seiner Lieder heißt es: „Teufel, Teufel, Teufel. Sie werden uns verraten. Sie werden uns nie vereinen.“ Mit „sie“ meint er die Machthaber, die die Teilung der Insel nicht beseitigen.

Der Rapper will keine Grenze auf Zypern. „Die Grenze ist völlig ausgedacht. Das ist ein Land“, sagt er. „Wir sind eingepferchte Schafe. Gehe ich in den Norden, muss ich meinen Pass zeigen, als ob ich ein Tourist wäre, der das Ausland besucht. Absurd.„Die Teilung führe dazu, dass die Menschen im Norden und jene im Süden „in ihren eigenen Blasen leben“, nicht in Kontakt kommen. „Für viele im Süden existiert der Norden praktisch nicht“, klagt er. „Nur wenn beide Seiten aus ihren Fehlern lernen, kann eine Lösung im Zypernkonflikt gefunden werden. Uns trennt nichts. Zyperngriechen, Zyperntürken, die Türken, alle Bewohner Zyperns, egal woher sie stammen, sind Zyprer. Zypern war immer ein Schmelztiegel verschiedener Ethnien, Sprachen, Religionen und Kulturen.“

Der Rapper X.YPNO singt im zyprischgriechischen Dialekt gegen die Teilung des Landes an Foto: Ferry Batzoglou

Um die Lösung im Zypernkonflikt zu erreichen, stünden alle Seiten in der Verantwortung, findet der 25-jährige. „Wir Zyperngriechen aber mehr, weil wir die Mehrheit sind.“ Leider sei er nicht zuversichtlich, dass er ein vereintes Zypern erleben werde. Chancen dafür habe es gegeben. Sie seien aber nicht genutzt worden.

Zum Beispiel der Annan-Plan, benannt nach dem früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan. Der Anfang 2004 vorgelegte Entwurf sah ein Hybridmodell aus einem Bundesstaat (Forderung der Zyperngriechen) und einer Union zweier souveräner Staaten (Forderung der Zyperntürken) vor. Der Plan scheiterte. Während 65 Prozent der Zyperntürken den Annan-Plan in einer Volksabstimmung befürworteten, lehnten ihn 76 Prozent der Zyperngriechen ab.

Die Teilung ist zum Dauerzustand avanciert. Politisch. Geostrategisch. Ökonomisch. Gesellschaftlich. Sprachlich. Kulturell. So wundert es nicht, dass sich derweil ein eher abschätziger Spruch im Neugriechischen eingebürgert hat: „Mach es nicht zypriotisch!“ Will heißen: „Komme zu einem Ende!“ Die Gespräche zur Lösung des Zypernkonflikts liegen derweil auf Eis.

Im Inselnorden ist der 20. Juli der „Feiertag des Friedens und der Freiheit.“ Der Präsident der Türkischen Republik Nordzypern (TRNC), Ersin Tatar, wird mit seinem engen Verbündeten, den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die alljährliche Militärparade im Inselnorden verfolgen. Der 64-Jährige ist in Nikosia, im damals noch vereinten Zypern, geboren. Er ist Chef der nationalkonservativen UBP.

40.000 türkische Streitkräfte auf der Insel

Die Militärparade hat Symbolkraft. Dass „auf der Insel seit einem halben Jahrhundert kein Blut und keine Tränen geflossen“ seien, sei auf die Präsenz der „türkischen Friedenstruppen“ zurückzuführen, hebt Ersin Tatar hervor. Die Türkischen Streitkräfte auf Zypern, in der Eigenbezeichnung Türkische Friedenstruppe auf Zypern, unterstehen mit ihren geschätzt 40.000 Soldaten den türkischen Streitkräften.

Während die fortwährende massive Präsenz der türkischen Streitkräfte im Inselnorden für die TRNC-Politelite unerlässlich ist, ist sie für die Zyperngriechen neben der heiklen Sache türkische Siedler und Immobilien im Inselnorden ein dritter Knackpunkt bei der Suche nach einer Lösung im Zypernkonflikt.

Der Hardliner Tatar vertritt die Position, wonach es „die Realität sei, dass es zwei getrennte Völker und zwei getrennte Staaten auf der Insel gibt“. Erdoğan sieht das genauso. Denn nur ein souveräner TRNC-Staat ist ein Baustein für sein im Westen weitgehend unbeachtetes Projekt der Schaffung und Erweiterung einer Türkischen Welt, in der sich die türkische Einflusssphäre vom Mutterland Türkei aus auf alle Gebiete erstreckt, in der das Türkische präsent ist oder Turkvölker leben.

Das Konzept ähnelt der unter Putin forcierten Russischen Welt (Russki Mir). Die organisatorische Struktur für Erdoğans Projekt wurde bereits geschaffen. In der 2009 gegründeten Organisation der Turkstaaten (OTS) mit Hauptsitz in Istanbul, deren Mitglieder die Türkei, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan sowie Usbekistan sind, genießt die „Türkische Republik Nordzypern“ einen Beobachterstatus.

Unterdessen lehnt der Präsident der Republik Zypern, Nikos Christodoulidis, eine Zweistaatenlösung auf Zypern strikt ab. In seinem Amtssitz in Nikosia wird er am 20. Juli unter Anwesenheit des griechischen Premiers Kyriakos Mitsotakis eine Rede halten. Den Tenor gab Christodoulidis, der gerade fünfzig Jahre alt ist und Zyperns erster Präsident aus der Nachkriegsgeneration ist, bereits im Vorfeld preis: „Die Zyprer warten geduldig, sie hoffen, sie kämpfen“, sagte er kürzlich bei einer Rede.

Wer glaubt, die Zyperngriechen hätten eine geschlossene Meinung in der Causa Zypern, der irrt gewaltig. Einer im November 2022 veröffentlichten Umfrage des zyprischen Staatssenders RIK zufolge sprachen sich 36 Prozent der Befragten für ein Staatsmodell auf Zypern aus, wie es im Annan-Plan vorgesehen war.

Ferner wollten 18 Prozent zwei unabhängige Staaten, 14 Prozent plädierten für einen einheitlichen Staat, 13 Prozent waren für die Beibehaltung des Status quo und sechs Prozent favorisierten einen Staatenbund zweier souveräner Staaten. Zwei Prozent sprachen sich für einen Status quo ante aus (wie vor 1974), falls erforderlich mit Gewalt.

Die Sirenen werden abermals heulen. Am Samstag, dem 20. Juli, um Schlag 5.30 Uhr werden sie daran erinnern, dass türkische Truppen im Morgengrauen vor genau 50 Jahren in den Inselnorden einfielen. Das Leben wird seinen gewohnten Gang gehen. In ganz Zypern.

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ein schöner Artikel, mit vielen Hintergründen. Allerdings habe ich einen kleinen Hinweis auf den 3. Staat auf der Insel vermisst: da gibt es nämlich noch einen Flickenteppich im Süden Zyperns, genannt 'Sovereign Base Area', mit eigener Polizei etc. Das ist eine Kolonie der britischen Militärs, die dort einen grossen Stützpunkt (Akrotiri) für die Royal Air Force (RAF) betreiben. Die Grenze ist frei passierbar, ohne Kontrolle.

    Auch vor 50 Jahren gab es die 'SBA' schon, und sicherlich haben die Türken mit den Briten ihre Invasion abgesprochen - man will sich als NATO-Partner ja nicht gegenseitig beschiessen... Das ist auch auf Zypern ein wunder Punkt!

  • Großartiger Artikel, ich habe wieder etwas gelernt. Die Rolle Amerikas bei den Ereignissen, die zur Teilung führten, wird sehr gut herausgearbeitet.

    Ich war vor etwa drei Jahren im Norden, bin auch in Nikosia über die Grenze gegangen, mein Gesamteindruck war: entspannte Menschen auf beiden Seiten.

    Ich hoffe, dass irgendwann eine Lösung gefunden wird. Den Annan-Plan fand ich sehr zielführend.