50 Jahre NDR-Fernsehen: Früher war alles besser? Naja
Wenn ein Sender zurückblickt: Das NDR Fernsehen feiert sein 50-jähriges Bestehen mit der Doku „Unsere Geschichte – Unser NDR“.
„Der NDR gehört den Bürgern, nicht den Parteien“, stand 1979 auf einem Transparent, das Demonstranten durch Hamburg trugen. Auf die Straße gegangen waren Mitarbeiter der NDR, sogar Intendant Martin Neuffer marschierte mit. Der Protest richtete sich gegen Gerhard Stoltenberg, den damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten.
Der Christdemokrat hatte im Jahr zuvor den Staatsvertrag gekündigt, nicht zuletzt, weil er in Rage darüber war, dass der NDR sich geweigert hatte, einem Beschluss des aus Ministern zusammengesetzten Verwaltungsrats Folge zu leisten. Die Politiker hatten angeordnet, eine Reihe mit dem nüchternen Titel „Der Betriebsrat“ abzusetzen, die den Anspruch hatte, Arbeitnehmern das Betriebsverfassungsgesetz nahezubringen.
In diesen Tagen an solche Begebenheiten zurückzudenken liegt durchaus nahe, denn ab dem heutigen Montag feiert das NDR Fernsehen eine Woche lang sein 50-jähriges Bestehen.
Teil des Schwerpunkts ist die Dokumentation „Unsere Geschichte – Unser NDR“, eine Oral-History-Produktion, in der prägende Figuren des Senders von jenen Erlebnissen erzählen, die ihnen subjektiv am wichtigsten sind – etwa Peter Merseburger, der frühere Redaktionsleiter von „Panorama“, oder Jobst Plog, der von 1991 bis 2008 Intendant war.
Mittwoch, 16. September 2015, 23:50 bis 00:50 Uhr, NDR.
Ein gewisses Unbehagen
Dass NDR-Mitarbeiter für ihren Sender auf die Straße gehen, ist heute kaum mehr vorstellbar. Für ein Programm, in dem regelmäßig der „Knochenbrecher“ bzw. „XXL Ostfriese“ Tamme Hanken oder am kommenden Freitag der „Sternengucker von Neufelderkoog“ aufkreuzt – „Der Hobby-Astronom baute sich kurzerhand eine Sternwarte auf das Dach der heimischen Scheune. Dort oben hin zieht sich der Familienvater in den kreisrunden Eigenbau zur Entspannung zurück“, heißt es in der Ankündigung – kämpft es sich nicht so leicht.
Ein gewisses Unbehagen über den „XXL Ostfriesen“ und Konsorten schwingt möglicherweise mit, wenn Jobst Plog in „Unsere Geschichte – Unser NDR“ das heutige Programm kritisiert: „Diese oder jene Kante muss wieder eingeschliffen werden.“ Falsch liegt der Veteran da zwar nicht, aber wohlfeil klingt das Statement trotzdem, denn in seiner Ära hat die Seichtheit bereits Einzug gehalten.
Frank Beckmann, der heutige Programmdirektor, findet es natürlich überhaupt nicht gerecht, das aktuelle Angebot auf Zerstreuungsfernsehen à la „Der XXl Ostfriese“ zu reduzieren. Noch nie in der Geschichte des Programms, betont Beckmann, habe es so viele Nachrichtenblöcke gegeben wie heute.
Viermal läuft „NDR aktuell“, hinzu kommen Nachrichten in den Frühabendmagazinen der Landesprogramme und natürlich die „Tagesschau“. Außerdem, so der Programmdirektor, setze sein Sender, anders als die anderen Dritten Programme, an sechs von sieben Tagen in der Prime- Time um 20.15 Uhr auf Informationsformate.
Keine Kritik
Andererseits ist „Information“ ein dehnbarer Begriff. „Markt“ zum Beispiel, 1989 gestartet, „war früher eine politisch engagierte Sendung, heute ist es ein reines Verbrauchermagazin“, sagt Jürgen Schröder-Jahn, der einst für die Sendung gearbeitet hat.
Er betont aber auch, er wolle damit nicht die journalistische Qualität der heutigen Beiträge kritisieren. Schröder-Jahn, Jahrgang 1936, hat zumindest im NDR-Milieu einen großen Namen, von ihm stammt „Der Betriebsrat“, jene Reihe, die dank parteipolitischer Interventionen für viel Aufsehen sorgte.
Nicht nur mit der Doku „Unsere Geschichte – Unser NDR“ blickt der Sender in den kommenden Tagen zurück. Auch andere Redaktionen planen entsprechende Beiträge oder Spezialausgaben, darunter am Mittwoch das Satiremagazin „Extra 3“: Dessen „Abend der Legenden“ wird präsentiert von verschiedenen Ex-Moderatoren der 1976 gestarteten Sendung.
Das erste Gesicht von „Extra 3“ war Wolf von Lojewski, der später die „tagesthemen“ und das „heute-journal“ moderierte. Von ihm stammt der schönste Satz aus „Unsere Geschichte – Unser NDR“. Über die Zeit bei „Extra 3“, ursprünglich eine sehr anarchische Sendung und nur zu einem kleinen Teil ein Satiremagazin, und das Verhältnis zu den Oberen sagt er: „Die hatten mehr Angst vor uns als wir vor denen.“
Auch wenn da ein gewisses Eigenlob anklingt, stellt sich die Frage, ab wann die Hierarchien denn keine Angst mehr hatten. Das habe begonnen mit der Fixierung auf die Quote ab Mitte der 1980er Jahre, sagt Hans-Jürgen Börner, Koautor von „Unsere Geschichte – Unser NDR“. Wenn sich ein Programm als schlecht abqualifizieren lässt, weil die Quoten schlecht sind, braucht man sich vor den Machern nicht zu fürchten.
Von einem gewissen Populismus kann sich der NDR auch in der aktuellen Feierstimmung nicht lösen. Weil die Programmstrategen des Hauses offenbar glauben, die Zuschauer interessierten sich nicht für die Historie „ihres“ Senders, haben sie „Unsere Geschichte – Unser NDR“ ins Nachtprogramm gepackt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!