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■ 50 Jahre BRD: Migranten ziehen BilanzAuf Freunde kann ich mich verlassen

Als ich aufwuchs, hörte ich den Namen Julius Berger. Es ist der Name eines deutschen Bauunternehmens, das in Nigeria tätig war. Dieser Name war für uns geradezu ein Synonym für Bauarbeiten, für Autobahnen, Landstraßen, Brücken und riesige Büroklötze. Wir fuhren über diese Straßen, überquerten die Brükken und arbeiteten in den Büros.

Auf Deutschland blickend, heißt das für mich, daß ich mit Deutschem vertraut bin, solange ich zurückdenken kann.

Obwohl ich seit 1990 in Deutschland lebe, gibt es allerdings immer noch einige Dinge, von denen ich mich frage, ob ich sie jemals verstehen werde. Ich komme aus einem Land, in dem die Menschen ihre Nachbarn kennen und zur Gemeinschaft gehören. In Deutschland dagegen habe ich gelernt, nicht Hallo zu sagen, wenn mein Nachbar und ich uns im Treppenhaus begegnen. Auch ist es nicht gerade angenehm, jemanden im Fahrstuhl zu treffen, der im gleichen Haus wohnt. Es herrscht dann ein peinliches Schweigen, und einige Leute starren eher auf ihre Armbanduhr, bis sie aussteigen. Oder sie kramen nach einem Schlüssel, als ob sie damit die Fahrstuhltür öffnen könnten. Ich habe zwar gehört, daß viele Leute sagen, daß das in der ehemaligen DDR nicht so war. Ich habe auch gehört, daß es dort möglich gewesen sein soll, sich zu treffen, ohne sich zuvor verabredet zu haben. Wenn dies stimmen sollte, würde das allerdings heißen, daß es nicht allzulange dauert, bis die Menschen ihre alltäglichen Gewohnheiten ändern.

Einmal habe ich eine Wette gegen einen jungen Mann gewonnen. Wir haben uns in meinem Stammcafé getroffen. Gegenstand der Wette war meine Behauptung, daß andere Gäste eigentlich nicht mit einem Ausländer an einem Tisch sitzen wollen. Der junge Mann sagte, ich redete Quatsch, wie sonst würde er dazu kommen, neben mir zu sitzen. Mir blieb also nichts anderes übrig, als ihm anzubieten, mich an einen anderen Tisch zu setzen. „Du wirst gleich sehen, was ich meine“, sagte ich zu ihm. Es ging um ein Glas Bier.

Das Café war gut genug besucht, so daß wir nicht allzulange auf den Beweis warten mußten. Eine Stunde, nachdem wir gewettet hatten, waren alle Tische besetzt. Die Stühle an meinem Tisch waren allerdings alle weg, geborgt von anderen, die sie an andere Tische trugen. Ich war der einzige an diesem Tisch geblieben. Natürlich sind das Ausnahmen, aber dieses Beispiel, da bin ich mir sicher, können bestimmt viele Schwarze erzählen, die in ein Café gehen.

Ein anderer Unterschied, den ich feststelle, ist die Schnelligkeit, mit der Diskussionen und Konflikte vergessen werden. Wenn ich zu Hause in Nigeria einen Streit mit einem Mitarbeiter hatte, konnte es sein, daß wir für den Rest der Zeit, die wir miteinander arbeiteten, kein Wort mehr miteinander verloren. Um so überraschter war ich,als ich mich in Deutschland zum ersten Mal mit einem Arbeitskollegen stritt, weil ich zu spät zur Arbeit gekommen war. Aber schon am Feierabend bot er an, mich nach Hause zu bringen. Ich schämte mich für den Gedanken, nie wieder mit ihm sprechen zu wollen.

Die Bereitschaft, jemandem zu helfen, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen, finde ich bei den Deutschen ebenso sympathisch wie die Ehrlichkeit. Zu Hause kommt es oft vor, daß man sagt, was der andere hören will, um seine Ruhe zu haben. Hier weiß ich, daß ich mich auf meine deutschen Freunde und Kollegen verlassen kann, etwa wenn ich umziehen muß. Ich kann mir sicher sein, daß sie genau zu der Zeit kommen, in der sie versprochen haben zu kommen. Und wenn sie gesagt haben, sie hätten keine Zeit, hilft alles Drängeln nichts. Mike Ojake

Mike Ojake (37) kommt aus Nigeria und arbeitet als Schauspieler und Puppenspieler.

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