50. Geburtstag von Michael Jackson: Geliebt, geehrt und tief gefallen

Michael Jackson feiert seinen 50. Geburtstag. Der einstige "King of Pop" ist über seine Extravaganzen und Missbrauchsvorwürfe gestürzt - und wird nicht mehr aufstehen.

Scheut mittlerweile die Öffentlichkeit: Michael Jackson. Bild: ap

Wir wissen alles über ihn. Jede und jeder kann sich zu Michael Jackson äußern. Dennoch wären wir froh, alsbald noch einiges zu erfahren. Etwa, dass er sich mit einem gefährlichen Heroin-Kokain-Crack-Cocktail versorgt, dass er säuft, dass er schwul oder heterosexuell oder bi und mit seinem Lebensgefährten beziehungsweise seiner Lebensgefährtin bereits seit 1983 zusammen ist und völlig monogam lebt, dass er beim Sprechen über seine Vorlieben gelogen hat, dass er überschuldet ist und dass er seine unzähligen Schönheitsoperationen bereut.

"Thriller": 60 Millionen Käufer cant be wrong - "Thriller" von 1982 ist nicht nur Michael Jacksons bestes Album, es ist eine der besten Platten aller Zeiten. Schlicht und einfach perfekt, in jedem einzelnen Stück. Bis heute holen sich Künstler hier das Rezept ab, wie man Chartserfolg und Tanzflächenseligkeit verbindet.

"Off The Wall": Von 1979, fast genauso brillant - das Album mit dem Jackson Disco um die Möglichkeiten von Pop, Softrock und Balladen erweiterte.

"The Ultimate Collection": Von den "Jackson 5". Von "I Want You Back" bis "Dancing Machine" - die Motownhits der besten Boygroup aller Zeiten.

Wenn wir das erfahren würden, dann würden wir ihm nämlich verzeihen. Wir würden ihn vom Vorwurf des Kindesmissbrauchs erlösen, wir wüssten, warum er so kaputt ist, wir würden Geld sammeln, und wir würden für ihn beten. Denn wir hätten ihn zurück: Der King of Pop wäre einer von uns. Er wäre wie wir. Kein unerreichbarer Superstar mehr, kein bewundertes bizarres Wesen, sondern ein Mensch, schwach, verlogen, makelbehaftet, so wie wir also.

George Michael lieben wir wieder, seit er auf einer Toilette verhaftet wurde. Prince mögen wir wieder, weil er Schwäche gezeigt hat und weil er nun ein normaler Mucker ist, ein Mucker von Gottes Gnaden zwar, aber nicht mehr gottgleich. Madonna dagegen lieben wir immer weniger, sie, die als kleine Kellnerin und kleines Popsternchen eine von uns war, ist nun britischer Landadel, Popmaschine und höchstens spleenig, sie lässt uns nicht an der Ehekrise, die wir uns so herbeiwünschen, teilhaben und ist für die Magersucht, die wir ihr unterstellen, viel zu gut trainiert.

Das zumindest erscheint so, wenn man sich überlegt, was hierzulande zu den 50. Geburtstagen der Superstars publiziert wurde. Der Künstler Prince, der im Juni 50 wurde, erntete wenig Aufmerksamkeit. Madonna wurde maßvoll gehuldigt, einige Jungjournalisten forderten, wenig originell, ihren Abgang ins Altersheim, alle aber schrieben über das neue Album und die gerade laufende Tour. (Nicht die taz. Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg behauptet, es gebe keine Plätze mehr. Bei einem Konzert im Olympiastadion! Wers glaubt. Uns egal. Soll Madonna doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit auftreten. Also: heute kein Madonna-Text. Und soll mir bloß niemand mehr mit "Madonna ist so wichtig" kommen, wenn schon Achtziger und Sexfront, dann Martina Navratilova. d. Musikred.)

Im Falle Michael Jacksons wiederum, der, nach Verkäufen und auch an der musikalischen Leistung gemessen, der Primus dieses Trios ist, läuft keine Promotionmaschine. Das Album, nein, DAS Album "Thriller" wurde zum 25. Jahrestag seines Erscheinens im Frühjahr noch einmal herausgegeben. Das wars.

Nicht einmal neue Biografien sind in Deutschland erschienen, nur die kleine, aber umso bedeutendere Schrift "Über Michael Jackson" von Margo Jefferson. Doch dieser hat sich nicht die Mühe gemacht, sie besonders gut übersetzen zu lassen oder gar zu aktualisieren. So endet das in den USA im Jahr 2006 erschienene Buch genau an dem Punkt, an dem "Jacko" für uns nicht mehr zu retten war - mit dem Freispruch im zweiten großen Prozess wegen Kindesmissbrauchs im Juni 2005. Einem fairen Prozess, bei dem Michael Jackson allerdings bereits vor Prozessbeginn von der Öffentlichkeit schuldig gesprochen worden war. Dieser Star wurde fertiggemacht. Vom Himmel geholt. Entblößt.

Doch auch jetzt, nach all den Kommentaren und Features, auch nach Jacksons großen Interviews, nach der Autobiografie "Moonwalk", nach all den Videobotschaften an die Fans müssen wir uns fragen: Was wissen wir eigentlich über Michael Jackson? Die Antwort ist einfach: genauso viel, wie wir über Madonna wissen. Oder über Greta Garbo. Oder über den Papst.

Michael Jackson wurde vor fünfzig Jahren in eine arme Familie hineingeboren, er wuchs mit acht Geschwistern auf. Sein Vater prügelte ihn und vier seiner Brüder auf die Showbühne. Der alte Mann ist bis heute stolz auf seine rigorosen Erziehungsmethoden. Die Mutter stand den Kinderstars zwar bei, schritt gegen die Prügelattacken des Vaters jedoch nicht ein. Als Jackson Five werden die fünf Brüder zu Berühmtheiten des Soulbusiness. Schnell wird der kleine Michael mit seiner außerordentlichen stimmlichen und tänzerischen Begabung zum Liebling der Fans. Dass der Minderjährige anspielungsreiche Liebeslieder singen muss, steigert nur seinen Erfolg.

In den frühen 70er-Jahren veröffentlicht er daher bereits Soloalben, das erste, "Got To Be There" als Dreizehnjähriger. Doch erst 1979, mit dem Album "Off The Wall", das Michael Jackson in enger Zusammenarbeit mit Quincy Jones erstellt, zeigt sich, dass Michael Jackson viel mehr ist als nur ein besonders talentierter Kinderstar. "Off The Wall" erweitert den R n B allmählich zu Pop, auch die Kritiker zeigen sich begeistert. 1982 legt das gleiche Duo "Thriller" vor, das bis heute das erfolgreichste Album aller Zeiten ist und geschätzte 60 Millionen Mal verkauft wurde, Downloads aus dem Internet nicht eingerechnet. Das Video zum Titelsong, dass immerhin 13 Minuten lang war, begründete das Verständnis vom Musikvideo neu, es wurde sogar mit einer Dokumentation über die Dreharbeiten als Kaufvideokassette veröffentlicht. Vor einem Vierteljahrhundert schon war Michael Jackson größer als Elvis und die Beatles. Spätestens seit "Thriller" ist Michael Jackson auch als außergewöhnlicher Tänzer beliebt, nicht nur der "Moonwalk", dessen Technik sich Jackson bei berühmten Pantomimen entlieh, sondern auch die beeindruckend schnelle Abfolge von Drehungen, der sichere Stand auf den Zehenspitzen und nicht zuletzt der Griff in den Schritt machten aus Michael Jackson endgültig einen Weltstar.

Seine weiteren Alben, "Bad" und "Dangerous", unterstrichen Michael Jacksons Anspruch auf den Titel King of Pop, doch Gerüchte über seine Extravaganzen und die Veränderung seines Äußeren ließen Jackson in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr zum seltsamen Freak werden. Als 1993 dann der erste Prozess wegen Kindesmissbrauchs begann, der mit einem Vergleich zwischen dem Hauptzeugen und Jackson beigelegt wurde, schienen die Vorurteile bestätigt.

Vor allem aber machte Jackson einen PR-Fehler - er wehrte sich gegen die Anwürfe. Stets betonte er, dass die Anklage ihn verletzt habe, er sah sein langjähriges Engagement für notleidende Kinder ins falsche Licht gesetzt. Er verteidigte auch seine Nasenoperationen, gab zudem an, unter einer Hautkrankheit zu leiden, die die Pigmente zerstört, sodass die Haut bleicht und empfindlich auf Sonnenlicht reagiert. Obwohl dies sein Hautarzt bestätigte, ist der Großteil der Öffentlichkeit weiter davon überzeugt, dass Jackson lieber "ein Weißer" wäre als "ein Schwarzer".

Zugleich erschien Michael Jackson als Größenwahnsinniger - während er mit hoher Stimme "I love you all" in die Kameras hauchte, bestritt er allzu gigantomanische Touren und ließ riesige Jackson-Statuen zur Bewerbung seines Albums "HIStory" aufstellen. Das bislang letzte Album, "Invincible", das 2001 erschien, verkaufte zwar beachtliche sieben Millionen Exemplare und ist bei weitem nicht so schlecht wie sein Ruf, dennoch trennte sich Sony von seinem Superstar. Und während Michael Jackson in den vergangenen Monaten mehrfach ankündigte, an einem neuen Album zu arbeiten, bei dem ihm unter anderem Will.i.am von den Black Eyed Peas als Produzent zur Seite stehe, ist bislang nicht einmal klar, ob er über dieses Album schon einen Vertrag mit einem Label abgeschlossen hat.

Stattdessen ist sich die Öffentlichkeit sicher, dass er ein - sagen wir es mild - gestörtes Verhältnis zu sich selbst hat. Man glaubt zu wissen, dass er trotz der zwei Ehen, die er führte, nicht als heterosexuell zu sehen ist, dass er, obschon er sich in die Nähe zu nationalistischen Black-Muslim-Organisationen begab, kein Schwarzer sein wolle, dass er, obschon freigesprochen, ein Kinderschänder sei, dass man für seine Kinder das Allerschlimmste befürchten müsse und dass er überhaupt eine Vollmeise habe.

Während alle Welt ein bisschen morpht und an der Identitätenverwischung arbeitet, will man ausgerechnet Michael Jackson, der den Umgang mit der Medienbranche bereits vor seiner Pubertät perfekt beherrschen lernte, als authentische Figur begreifen. Diese Forderung ist selbstredend völlig unsinnig. Auch dass Michael Jackson immer wieder behauptet, er sei tatsächlich, was er auf der Bühne gebe, spricht nicht für seinen Wunsch nach Authentizität. Der Mann will nur die Fans bedienen.

Die größere Öffentlichkeit dagegen scheint den Untergang dieses Superstars mit einigem Genuss zu betrachten. Michael Jackson hatte in den letzten 45 Jahren seines Lebens nur einen einzigen wirklichen Freund, dieser war der Spiegel der Medien. Darin konnte sich das narzisstische Kind sehen, ebenso der Star. Michael Jackson konnte sich über mehr als ein Jahrzehnt lang stets neu erfinden, und er tat dies, im Gegensatz zu Madonna, mit ganzem Körper. Anders als Madonna muss er jetzt dafür die Rechnung bezahlen. Für die geschundene Seele, für die er nichts kann, ebenso. Michael Jackson weiß nahezu alles über Außenwirkung und PR-Arbeit, aber er wusste nicht, dass es eine gängige journalistische Methode ist, diejenigen, die man hochgelobt hat, anschließend niederzuschreiben. Als ihm das bewusst wurde, zeigte er Nerven. Seitdem sehen wir diesen Star verzweifeln. Dies allerdings immer seltener öffentlich.

"Thriller" war unübertreffbar. Der Niedergang beginnt immer auf dem Höhepunkt. Wenn der Höhepunkt aber noch vor dem 25. Geburtstag erreicht worden ist, was kann dann noch folgen? Unendlicher Ruhm. Den aber werden wir Michael Jackson erst zuteil werden lassen, wenn er tot ist. Denn tote Stars behindern die Verehrung nicht mit ihrem Leben.

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