46 Beschäftigte begingen Selbstmord: Strafverfahren gegen France Télécom
Nach mehreren Suiziden forscht die Pariser Staatsanwaltschaft nach: Ist die Konzernleitung des Unternehmens für den Psychoterror verantwortlich?
PARIS taz | Im Zusammenhang mit der Suizidwelle bei France Télécom hat die Pariser Staatsanwaltschaft am Freitag ein Strafverfahren gegen "Unbekannt" wegen Mobbing und fahrlässiger Gefährdung von Mitarbeitenden des Konzerns eingeleitet. Ein möglicher Prozess gegen die FT-Unternehmensleitung wegen "Psychoterror" könnte in Frankreich zu einem Präzedenzfall für Kampf gegen den Stress am Arbeitsplatz werden.
Das hofft jedenfalls die Psychiaterin Brigitte Font le Bret. Nach 25-jähriger Erfahrung im Bereich der Arbeitsmedizin kommt sie zu dem Schluss, dass sich die Stresssymptome dramatisch verschärft hätten. Sie reichten von Haarausfall über diverse Phobien bis zu extremen Angstzuständen mit Suizidgefahr. Font le Bret hat mit Beschäftigten der France Télécom gesprochen und ein Buch darüber geschrieben. Der Titel, übersetzt: "Während sie die Toten zählen".
Das Telekommunikationsunternehmen will 22.000 Stellen abbauen und verlangt von den verbleibenden Mitarbeitenden eine hohe Mobilität. Seit 2008 haben sich 46 Beschäftigte das Leben genommen, die Zahl aller Versuche ist nicht bekannt. Dass da etwas mit dem Arbeitsklima nicht in Ordnung sein muss, hat nach langem Zögern auch die Konzernleitung eingeräumt. Sie hat in einer umfangreichen Befragung des Personals versucht, dem Unbehagen auf den Grund zu fühlen, und sie hat versprochen, sie werde den Bemerkungen über die Arbeitsbedingungen Rechnung tragen.
Diese Bereitschaft, sich die Klagen auch nur anzuhören oder sie gar zu berücksichtigen, kam aus der Sicht der Gewerkschaften reichlich spät. Der Verband SUD-PTT reichte Strafklage gegen die Unternehmensleitung ein. Der Vorwurf: Mobbing und Gefährdung von Mitarbeitenden. Laut SUD-Sprecher Patrick Ackermann habe die Personalführung mit Absicht ein "krank machendes System geschaffen, um Leute wegzuekeln".
"Psychoterror" sei ohne Rücksicht auf Familien und Menschenleben eingesetzt worden, sagt auch die Arbeitsinspektorin Sylvie Catala, ausgehend von einem Suizidfall in einer Niederlassung in Besançon. Ihr 82-seitiger Bericht dient der Pariser Staatsanwaltschaft als Ausgangsbasis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen