40 Jahre taz Leibesübungen: Weiter frech, krumm, ölig, high
Die Gründung des Sport-Ressorts folgte der Lust, einfach alles zu erzählen, was den Sport betrifft. Es geht um den anderen Blick – damals und heute.
Es war eine Zeit des Aufbruchs. Der Fußball schickte sich an, Bereiche zu erobern, aus denen er zuvor tunlichst herausgehalten worden war. Bunte Ligen hatten sich gegründet, in denen bunte Vögel kickten. Linke Studenten legten ihren Peter Weiss schon mal zur Seite, wenn samstags in Radio live aus den Bundesligastadien berichtet wurde, und wer sich noch ein paar Jahre vorher noch nicht getraut hat, eine linke Demo zu verlassen, weil er unbedingt ins Stadion zu seinem Klub gehen wollte, der begann offen über seine Leidenschaft zu sprechen.
Links und Fußball hatte begonnen zusammenzupassen, spätestens als die Legende einem verweigerten Handschlag beim Finale der Weltmeisterschaft 1978 in Buenos Aires Verbreitung fand. Der argentinische Weltmeistertrainer hatte bei der Siegerehrung nach dem Gewinn des WM-Titels dem brutal herrschenden Militärdiktator Jorge Rafael Videla nicht die Hand geschüttelt, und César Luis Menotti wurde auch deshalb zu einer Symbolfigur für alle Linken, die von einem anderen als dem bis dahin herrschenden Fußball träumten.
Sport konnte links sein. Warum sollte er also keinen Platz in einer jungen, linken Tageszeitung haben? Nein, es war kein Streich von durchgeknallten Fußballnarren, die einem politischen Projekt wie der taz eine Sportseite unterjubeln wollten. Die Zeit war einfach reif. Und so erschien im Oktober 1983 zum ersten Mal eine Seite über der in dicken Lettern das Wort „Leibesübungen“ prangte.
Das kannten die ersten Sportredakteure nur zu gut. Es stand auf ihren Schulzeugnissen. Heute wirkt das Wort ein wenig aus der Zeit gefallen und so, als wollten diejenigen, die über Sport schreiben, sich irgendwie auch von ihrem Thema distanzieren.
Tun sie ja auch. Bisweilen jedenfalls. Dem heiligen Ernst, mit dem etwa das Fachmagazin Kicker darüber berichten konnte, wie ein Stürmer „das Spielgerät“ über die Linie „bugsiert“ hat und so einen „lupenreinen Hattrick“ erzielt hat, wollten die taz-Sportler eh einen anderen Ton entgegensetzen. „Frech, krumm, ölig, high“ stand über den Sportmeldungen der ersten Leibesübungen-Jahre. So wollten die taz-Sportler sein, während die bürgerliche Sportpresse noch arg turnväterlich seriös dahergekommen ist.
Der Ton macht den Sport
Es war ein ganz eigener Ton, mit dem sich die ersten Gesichter der Leibesübungen, Manfred Kriener, Matti Lieske und Norbert Thomma an den Leistungssport herangetastet haben. Um den sollte es gehen, auch wenn sich die Autoren in einer schier endlosen Artikelserie auch mal auf die Suche nach der „randigsten Randsportart“ begeben haben. Die kleine taz wurde oft missverstanden in der großen Sportwelt. Georg Hackl, der bayerische Schlittenfahrer mit dem Goldabonnement bei Olympischen Spielen, war für die taz die „rasende Weißwurst“. Dass die Redaktion damit nichts als pure Hochachtung zum Ausdruck bringen wollte, wollte der nicht verstehen.
Als die taz Jürgen Klinsmann nach seiner Entlassung als Trainer des FC Bayern München auf einer Titelseite ans Kreuz genagelt hat, war das für den Klub Ausdruck tiefster Menschenverachtung. Dabei hat es die Redaktion doch eigentlich nur gut gemeint mit Klinsmann und ihn sogar als eingeborenen Sohn des Fußballgotts messianische Größe zugemessen.
Manchmal war wirklich Schluss mit lustig. Vor der Heim-WM 2006 widmete sich die taz auf Seite eins den „Öko-Schweinen von der Fifa“. Der Weltverband hatte – ja das war seinerzeit schon Usus – ein klimaneutrales Turnier versprochen. Und weil die taz den Organisatoren das Versprechen nicht abgenommen hat, verschwanden flugs die Akkreditierungen für die taz-Reporter aus dem Presseportal der WM-Organisatoren.
Man hat sich dann wieder vertragen. Ein bisschen zumindest. Die WM-Reporter durften in die Stadien. Es wäre sonst wirklich schwer geworden, die vielen Zusatzseiten zu füllen, die dem Heimturnier gewidmet waren. Denn die Leibesübungen hatten sich gemausert. Die ganze Gesellschaft über den Sport zu erzählen, gehörte längst zur DNA der taz. Die Weltpolitik im Stadionrund, vom Beckenrand oder von der Radstrecke aus zu finden, wurde vor allem bei den sportlichen Großereignissen zum Programm der taz.
Trampen für die taz
Es ist einfach wichtig, vor Ort ganz genau zu beobachten, wie so umstrittene Events wie die Fußball-Weltmeisterschaften in Katar und Russland oder Olympischen Spiele in Peking und Sotschi durchgezogen werden. Dass eine gestandene Berichterstattende bei aller notwendigen Politisiererei auch in der Lage sein sollte, zu erklären, warum ein Team gegen das andere gewonnen hat, versteht sich von selbst.
Die Großereignisse wurden beschickt, auch wenn die taz sich das eigentlich gar nicht leisten konnte. Um ein Haar, so hat es Michaela Schießl im taz Talk zum Jubiläum der Leibesübungen-Seite erzählt, wäre die Akkreditierung für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona verfallen, weil die offiziellen Unterkünfte für den Etat der taz viel zu teuer waren. Eine Leserin hat der taz schließlich ihr Apartment zur Verfügung gestellt, und so war Schießl dabei, als Dieter Baumann – ja, der mit der Zahnpasta – Olympiasieger über 5.000 Meter geworden ist. Trampen war übrigens für tazler damals noch eine ganz normale Fortbewegungsart, auch das hat Schießl erzählt.
Ganz so sparsam geht es heute nicht mehr zu, wenn jemand für die taz zu einer sogenannten Sportgroßveranstaltung fährt. Zu solchen gehören längst auch die Welt- und Europameisterschaften der Fußballerinnen. Und während andere Medienhäuser ihre Reporterinnen abziehen, sobald die Deutschen ausgeschieden sind, bleibt die taz am Ball. Das können uns die anderen gerne nachmachen.
So wie sie sich an dem ganz speziellen Stil der Sportbeschreibung orientiert haben, der in der taz etabliert worden ist. Der Spielbericht ist da von einer Textsorte abgelöst worden, die sich am besten vielleicht mit dem Wort Sportfeuilleton beschreiben lässt. Wie man zum schönen Spiel den schönen Text baut, das hat Matti Lieske, der über zwanzig Jahre eines der Gesichter des taz-Sports war, ganzen Generationen vom Fußballautoren vorgemacht. Und so steckt in vielen großen Fußballtexten anderer Zeitungen immer auch ein Stückchen taz. Diese Behauptung wird auf einer Jubiläumsseite ja wohl erlaubt sein.
Zumal wir ganz genau wissen, dass nicht immer erfolgreich war, was die Leibesübungen angefasst haben. Als der Autor dieser Zeilen 2012 für das Amt des DFB-Präsidenten kandidiert hat, war er letztlich chancenlos gegen einen gewissen Wolfgang Niersbach. Am Ende bleibt der Versuch stehen, das doch bisweilen dröge Thema Sportpolitik und Funktionärswesen auf eine ganz eigene Art aufzubereiten. Anders eben. Das war ja ein Versprechen bei der Gründung des taz-Sports: anders sein. Und was ist heute das Versprechen? Anders bleiben. Klar.
Andreas Rüttenauer bildet gemeinsam mit Johannes Kopp und Markus Völker den Kern der taz Leibesübungen.
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