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3mal Spurensuche: Bremen-Minsk

■ Auf Video: Ein ehemaliger KZ-Häftling, ein Mann aus einer SA-Familie, eine junge Frau

Aus Bremen wurden 440 jüdische MitbürgerInnen nach Minsk in Weißrußland ins Ghetto deportiert und dort grausam ermordet. Das war 1941. Und 1991, also 50 Jahre später, fuhren 72 BremerInnen nach Minsk, um die Todeslager zu suchen, um an die Ermordeten zu erinnern und um Medikamente für Tschernobyl-Opfer zu bringen. Drei Video-Filme hat Jörg Streese (Buch/Regie) auf dieser Fahrt gedreht, je 23 Minuten kurz, und sie machen drei ganz unterschiedliche Personen und ihre Perspektiven zum Mittelpunkt, gedacht als Information und als Gesprächsanlaß für die Weiterbildung, für Jugendliche und Erwachsene. Die Filme sind keine Profi-Filme, die Darsteller sind keine Schauspieler — aber das ist vielleicht gerade ihre Stärke.

Horst Hackenbroich, selbst Buchenwald-Häftling, fährt auf Spurensuche mit nach Minsk, wo seine jüdischen Verwandten ermordet wurden. Ihnen wurde beim Abtransport nach Minsk gesagt, sie sollten Werkzeug mitnehmen, weil man auf neuem Land siedeln würde. Schon am Bremer Bahnhof wurde aber der Gepäckwagen abgekoppelt: „Man konnte sich dann vorstellen, was beabsichtigt war!“ In Minsk, 50 Jahre später, stellt sich heraus: Neue Stadtteile sind auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos entstanden, alle Spuren verschwunden. Und ein sowjetischer Forscher bekennt: Die herrschende Ideologie habe das Herausstellen einer bestimmten Gruppe, der Juden, nicht zugelassen, sie habe nur Widerstandkämpfer gegen den Fschismus gekannt. Daß Menschen auch als Juden verfolgt und ermordet wurden, werde dort bis heute kaum zur Kenntnis genommen, Dokumente und Fundstücke sind praktisch nicht erhalten. Den Bremer Gedenkstein will die Stadtverwaltung nicht recht annehmen. Horst Hackenbroich, zurück in Bremen, zuckt die Schultern: Er hat die Spuren jüdischen Lebens von damals verloren, auch die seiner Verwandten. Aber das Thema, die Gedanken wird er nicht los.

Der zweite Film zeigt einen Mann aus Walle, der aus einer Täterfamilie kommt. Horst Fischer hat die Reise „nicht leichten Herzens angetreten“: „Ich will mir selbst auf die Spur kommen.“ Sein Elternhaus war deutsch-national, alle männlichen Verwandten Mitglieder der SA. Fischer, 37 geboren, weiß noch, wie es damals in Walle kleine jüdische Geschäfte gab, wie seine Mutter bei Silbermann-Oberbekleidung beschäftigt war. Da konnten die Waller anschreiben lassen, wenn das Geld für einen Konfirmationsanzug nicht reichte. Heute sind diese Häuser weg, die Menschen vertrieben, deportiert, verschwunden. Fischer ist so ehrlich, im Film auch eine Bremer Episode aus jüngenen Jahren zu erzählen: Wie beim Heimkehrerverband „Bis das Judenblut vom Meser spritzt“ gesungen wurde und er als Gast schwieg — „den Raum nicht unter Protest verlassen“ hatte. Den Protest hat er inzwischen gründlich nachgeholt.

Sandra Koopmann, Bremer Geschichts-Studentin, steht im dritten Film für die junge Generation, findet „Geschichte und ihre Geheimnisse reizvoll“, zum Beispiel den Konflikt „zwischen der Macht und dem eigenen Standpunkt, der seit der Antike aktuell ist“. Sie wird gefilmt beim Lesen in der Bremer Uni-Bibliothek, beim fleißigen Notizen-Machen, bei der Minsker Gedenkstätte, wo für die 26 zerstörten Ghetto-Häuser 26 symbolische Schornsteine mit Glocken aufgestellt sind. Sie hat Kontake geschlossen in Minsk, lernt inzwischen russisch, „um den Menschen näher zu kommen“. S.P.

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