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■ 349 Fotos, auf denen „schöne, bescheidene Füße“ nach Elmer Batters' Pfeife tanzen. Eine Hommage an einen Künstler Von Anke WestphalDer Mann, der Frauenfüße still verehrte

Der in Kord gebundene Bildband zeigt einen US-Fotografen, der Füße und Beine von Frauen grandios inszenierte. Die Aufnahmen enthüllen kostbare, selbstverliebte Momente seiner Models.

Das Modell, praktisch nackt, ist mit drei Spielzeugmäusen aus Holz auf dem Sofa arrangiert. Mal lugen die Mäuse keck überm Po aus dem weißen Polyesterslip, dann wieder starren sie aus der Frosch-, pardon, Mausperspektive die über ihnen baumelnden Brüste an. Diese geben sich nicht dezent und aristokratisch, sondern geradezu unternehmungslustig, doch ihre Konkurrenz ist unschlagbar: Der Fotograf Elmer Batters verschwendete seine Liebe nicht an Brüste, sondern an Damenbeine- und füße.

Batters' Modelle sind nicht eindeutig häßlich, sondern auf attraktive Art ordinär. Ihre Schlampigkeit ist so physisch wie dekorativ; sie bewegt sich auf den Verfall zu und umarmt ihn zugleich. Eine beginnende oder fortgeschrittene Formlosigkeit der Körper, die – vielleicht einmal, vielleicht aber auch nie – eine Taille hatten. Des Fotografen Objekte zeigen keine niedlichen Höschen, sondern weiße, billige Schlüpfer, die für den Fotografen auf dem Feld, in der Wüste, in einem Hotel- oder Wohnzimmer heruntergelassen wurden. Überall und nirgends.

Elmer Batters ist am 25. Juni vorigen Jahres gestorben. Mit einem Loch im Herzen wurde er 77 Jahre alt. Während des Zweiten Weltkriegs diente er als „stolzer U-Boot-Matrose“. Er wollte immer auf See begraben werden. Füße und Beine provokant und erotisch zu fotografieren, galt in den fünfziger Jahren als nicht opportun. Batters, der anfänglich die Magazine Black Silk Stockings und Man's Favorite Pastime herausgab, wurde wegen Obszönität verhaftet. Wobei es nicht um die blanken Brüste seiner Models ging, sondern um deren bloße, aufreizend drapierte Füße und gespreizte Zehen.

Er leistete sich in einem Amerika, das auf Brüste fixiert war und (Pamela Anderson!) ist, eine Abweichung, deren Hintergrund zunächst vage war. Viele von Batters' Fotos wurden denn auch in dem Haus aufgenommen, das er mit seiner Frau Anna Gloria in San Pedro, Kalifornien, bewohnte. Anna war bei den Settings immer dabei – als juristische Sicherheit, als Zeugin, die zur Not bestätigen konnte, daß nichts wirklich „Unsittliches“ geschah und auch kein Model jemals belästigt wurde.

Die ersten „Leg“-Bilder des „Leg Man“ Batters, der sich selbst nie für einen Künstler hielt, stammen aus den frühen sechziger Jahren, die letzten in diesem Buch sind auf 1984 datiert. Der ihm posthum gewidmete Bildband ist in dunkelbraunen Cord gebunden und mit einem fleischfarbenen Nylonstrumpf überzogen. Die Herstellung hielt der Verlag für so aufwendig und kompliziert, daß er in Tschechien produzieren ließ. Das Titelfoto täuscht in der Vorteilhaftigkeit der Darstellung zweier Füße darüber hinweg, daß es sich bei Batters' drastischer Liebesaffäre um eine mit dem White Trash – Kulturmüll der weißen Proleten – handelte.

Manchmal gerät dies zur schmuddeligen Angelegenheit. Da hängt das Zugband eines Tampons aus dem Schritt. Eine Laufmasche saust am Strumpf einer Hausfrau, die vor ihrem Küchenherd kniet, nach unten. Dazu singt Charles Aznavour vielleicht: „Wenn deine Strümpfe Wasser zieh'n / Du läßt dich geh'n / Du läßt dich geh'n“ – nicht auf der Bühne, sondern betrunken wie ein Tankwart im Pferdestall.

Vor einem Hintergrund aus Schnitznippes im selbstverschraubten Regal wird die gespielte pornographische Pose der Hausfrau – die auf ihren Beinen hockt wie ein Kriegsversehrter auf Stümpfen – dem Homevideo anvermählt. Elmer Batters' Fotos funktionieren – inzwischen, sei angefügt – als Schnittstelle aus einer wohlfeil inszenierten Glamouridentität, die vom billigen Polyestersetting ironisiert wird, und der ästhetischen Vorurteilslosigkeit (oder sagen wir Naivität?) des Fotografen.

Daß der erotische Traum bei Batters nicht scheitert, ist den Modellen zu danken: Sie sind einfach zuwenig befangen. „Leg Man“ Elmer rekrutierte seine Models unter Stripperinnen, Hausfrauen und – angeblich – Hippiemädchen.

Zuerst wird das Wasser temperiert. Heiß, kalt, grüne Salzkristalle sinken auf den Grund des Beckens. Die Wärme steigt von den Füßen auf zum Kopf. Das Gedächtnis der Beine löscht die Erinnerung an die Schwere, die Schwerkraft – eine einzige erlittene Beleidigung. Der Vorhang zur Kabine öffnet sich. Der Angestellte des Kosmetikinstituts tritt lautlos ein. Sein Kittel ist weiß wie der eines Arztes oder Atomphysikers, denn er ist mächtig – ein Kaiser der Pediküre.

Diskret hebt er den noch unvollkommenen linken Fuß seines Klienten aus dem Becken heraus auf ein Höckerchen. Der Angestellte reibt und schrubbt die Fersen, respektvoll und doch energisch, er schneidet, fräst, knipst und poliert die Nägel zu makellos geformten glänzenden Halbmonden. Er massiert die Sohlen. Er versäumt nicht zu loben: Wie zart die Haut sei, wie schmal die Knöchel. Der Angestellte läßt sich alle Zeit der Mächtigen.

Jedem Fuß widmet er mindestens zwanzig schweigsame Minuten. Der Angestellte weiß, ob und wann sein Klient neue Schuhe getragen hat und ob es billige oder teure – er sagt „gut verarbeitete“ – waren. Ganz am Schluß lackiert der Angestellte die Nägel, silber oder schwarz. Erst danach werden auch die Füße und Beine gecremt, sonst würde der Lack ja nicht haften. Der Angestellte ist mit sich zufrieden. Der Klient ist mit dem Maß an Autoerotik, das der Angestellte ihm entwickeln half, äußerst zufrieden. Trinkgeld wird reichlich gegeben. Gutes Geld für gute Arbeit.

In New Yorker Instituten gehören sich mindestens 20 bis 25 Prozent „Tip“. Essen macht fett, „Well-Grooming“ sexy. Nach der „Behandlung“ trägt der Klient für Stunden weder Strümpfe noch Schuhe. Er räkelt sich auf dem Sofa und streckt die Füße zur besseren Wertschätzung von sich wie eine prestigebewußte amerikanische Braut ihren Verlobungsdiamanten.

Der weibliche Orgasmus besteht vornehmlich in einem Augenblick seltener Selbstliebe. Batters' Frauen präsentieren zwar nackte Brüste, aber sie zeigen sie eigentlich nicht: Die Brüste sind nur wie zufällig nackt. Sie scheinen jung und ziemlich groß und haben keine Chance gegen das feste, immer glänzende, weil eng schwarzbeschleierte Fleisch der Beine, die ein Paar Pfennigabsätze in den Staub treten.

Das zum einen Ende im Fuß gipfelnde Bein beherrscht den Schuh. Elmer Batters' Kamera rutscht die Beine auch am anderen Ende hinauf – zum Dazwischen, das, ein breiter langer Schlitz, den Betrachter beherrscht. Dahin führt die Linie aller Beine. Ein silberner Schuh wird auf dem Schlitz plaziert. Das Buch neben dem Modell heißt „The Devils Daughter“ – vielleicht nur, weil es ulkig ist, genau so ein Buch, ein antikes Telefon und einen spießigen dreistöckigen Ascher als Requisiten zu verwenden. Der silberne Schuh nähert sich dem Schlitz, dem unheiligen Zentrum aller Weiblichkeit und möchte, ein Bild weiter, in ihm verschwinden.

Flüchtig besehen funktioniert es mit der Erregung womöglich wie beim Schauspieler Antonia Banderas, über dessen erotische Ausstrahlung die schwule Kolumnistin Libby Gelman-Waxner (alias Paul Rudnick) schrieb, „er scheine Sex mit seinen engen Jeans zu haben“. Das Motiv des Schuhs, der vorgibt, in die Vagina einzudringen, wiederholt Batters, als würden sich seine Modelle von den Absätzen ihrer Schuhe ficken lassen. Füße und Schuhe gelten in der Psychoanalyse als jener Teil der Mutter, der dem krabbelnden Kind am nächsten ist, und als Phallussymbole.

Sigmund Freud hat beschrieben, daß der Fetisch Fuß, Bein, Schuh ein Ersatz für den Penis der Mutter ist, an den der kleine Junge einst glaubte und den er als Erwachsener nicht aufgeben will, denn wenn die Mutter kastriert wurde, droht auch seinem eigenen Penis Gefahr. Der Fetisch, so Valerie Steele in „Fetish & Eroticism“, dient der Beschwichtigung der Kastrationsangst.

Elmer Batters idealer Fuß ist kurz und kompakt, der Spann gewölbt; sein ideales Bein ist stämmig mit dicken Schenkeln, schmalen Knien und sehr runden Waden. Beine, die nach Batters' Pfeife tanzen, tragen schwarze Strümpfe und Absätze, manchmal auch Turnschuhe. Die hohen Absätze bedeuten Drama, Schönheit, Gefahr: Sie verkürzen den Fuß und verlängern den Körper, sie suggerieren Höhe (und Größe), gefährden gleichzeitig den sicheren Gang, verkünden ihrer Trägerin aber auch den Sieg über die Gesetze der Schwerkraft.

Die Feministin Nancy Friday hat, was den Fußfetischismus angeht, einen interessanten Zusammenhang konstatiert: Seit Frauen ihre Sexualität ausleben, auch Pornovideo- und Sexshops frequentieren, ist der Absatz hochhackiger Schuhe gestiegen, steigt andererseits aber auch die Nachfrage nach Penisimplantaten und gepolsterter Männerunterwäsche. Friday – das muß sie mit Batters gemeinsam haben – „gefällt das Vage an der Penis-Schuh- Verbindung, das Nichtwissen, denn im Gegensatz zu den hieb- und stichfesten Fakten der Sexualiät haben wir hier einen Tatbestand, der zugleich niemandem entgeht und von niemandem verstanden wird...“ Tatsächlich ist der Stilettoabsatz ein stichfestes Argument; auch wird er in seiner Hybris von jedem und jeder wahrgenommen. Tatsächlich werden heutzutage die Absätze wieder höher.

Jener einsame Turnschuh, den Elmer Batters für würdig befand, den Augenblick zu überdauern, weist vorn am großen Zeh ein Loch auf, und der Nylonstrumpf darin schlägt Falten. Überhaupt scheint dies die Essenz aller Batters-Zärtlichkeit: der armselig nylonbestrumpfte Fuß im löchrigen Turnschuh. Die Pose unternimmt es, den Verfall zu ignorieren. Der würdige Verfall immerhin egalisiert alles – Alter, Setting, Sex, Glamour, Gewicht, Distinktion. Niemand würde Elmer Batters' Modelle als eine Klasse von Aschenputteln ansehen, die ihre Jungfernschaft hüten wie gläserne Schuhe, die allen andern Frauen, den Nicht-Bräuten, zu klein sein – ein weiteres Symbol.

Die meisten von Batters' Modellen sind gewöhnliche Heldinnen einer kleinen Serie, eines sehr langsamen Daumenkinos, in dem ein paar Sequenzen fehlen. Sie präsentieren ihr Fleisch, sie starren, aber man nähert sich ihnen nicht. Elmer Batters fotografierte niemals mit Blitz. Der Mann betete Füße an, doch er sprach nie darüber. Die verkürzten Perspektiven und gestauchten Körperlinien schuf er, indem er die Füße seiner Modelle selbst in die „richtige Pose“ brachte.

Das Begehren also, wie es auf Teppichböden und Grillplätzen, vor Kiefernholzwänden und zwischen Sitzgruppen an Beinen und Füßen entlangkriecht. Unter dem Pflaster lag mal der Strand. Unter der Limousine, aus der ein dralles Damenbein sich reckt, liegt das Stroh von der letzten oder vorvorletzten Maid. Und weil Batters nichts an knospenden Mädchen und auch nichts an literarischen Busen oder Brüsten liegt, ringeln Gummikraken ihre Fangarme um rosa Warzen, deren Schwellen Panik auslöst, besteigen gräßliche Plüschtiere und häßliche Plastikastronauten dicke fröhliche Möpse.

Vielleicht waren Batters und der Regisseur John Waters ja Zwillinge, bei der Geburt getrennt. Wie Waters, der den unförmigen Divine in seinen Filmen zur wunderbarsten glamourösesten Über-Frau machte, gab auch Elmer Batters „einen Scheißdreck auf weibliche Ästhetik, war es ihm egal, ob sein Modell groß oder klein, dünn oder plump war, solange er sich nur den Beinen und Knöcheln nähern konnte.“ Erst in den späten siebziger Jahren werden Batters' Frauen graziler und eleganter, splittert der Nagellack auf Zehen- und Fingernägeln nicht mehr, wirken die Bilder (jetzt in Farbe) aber auch eingefrorener. Und sicher ist es kein Zufall, daß ein Fetischfotograf wie Elmer Batters gerade jetzt geehrt wird – in einer Dekade, die geklonte Schafe (und bald auch geklonte Menschen), postfeministisches Splitting und Cybersex auf der Datenautobahn kennt.

Das Interesse an Symbolen, nationalen, religiösen und sexuellen, an Fahnen und Füßen, ist erstarkt. Okay, dann tanzt unsereins also nach Elmers Pfeife.

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