30 Jahre Kunst-Werke in Berlin: Immer ein Teil der Veränderung
Das KW Institute for Contemporary Art in Berlin feiert an diesem Wochenende seine Gründung vor 30 Jahren und blickt mit einer Chronik zurück.

Anfang der 1990er Jahre beäugten sich die Kunstszenen von West- und Ostberlin noch mit Misstrauen. In der ästhetischen Produktion oder den ethischen Haltungen war man sich manchmal gar nicht so fern; aber die jahrzehntelange Einübung von Abgrenzung machte es schwer, dies zuzugeben. Wer wird gefördert? Wo wird die eigene Klientel bedient? Solche Debatten überschatteten den Prozess der Annäherung.
Womöglich war es ein Faktor für den Erfolg der heute ihre Gründung vor 30 Jahren feiernden Kunst-Werke (die sich mittlerweile KW Institute for Contemporary Art nennen), dass ihre Initiatoren alle zu jung waren, um mit diesen Kunstszenen in Ost und West schon verhakelt zu sein, dass sie nicht aus dem doch etwas provinziellen Milieu der beiden Halbstädte stammten und dass sie zwar Studenten, aber nicht der Kunst waren.
Westberliner Kunstvereine und -lobbyisten waren schon so ermüdet vom vergeblichen Kampf um eine Kunsthalle, dass sie gar nicht so groß zu denken wagten wie diese Newcomer. Unter denen fiel besonders Klaus Biesenbach auf, fast wie eine etwas surreale Erscheinung auf dem Berliner Parkett, der, so schreibt er in seinen Erinnerungen, aus den USA mitgebracht hatte, dass sich groß zu verkaufen weiterbringt.
Vor einer Woche wurde bekannt, dass Klaus Biesenbach, der seit 2004 am PS 1 in New York und an weiteren Institutionen in New York gearbeitet hatte, ab dem kommenden Jahr Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin wird. Eine Neuigkeit, die beim Jubiläum des KW sicher mitgefeiert wird.
Neues gründen im Verfall
Die Ausstellungen in den Kunst-Werken, in einer ehemaligen Margarine-Fabrik in der Auguststraße, erlangten bald eine Sichtbarkeit, die andere der vielen Initiativen der Off-Szene übertraf. Ein Coup war 1992 das Projekt 37 Räume, das die ganze Auguststraße bespielte, auch Wohnzimmer und leere Ladenlokalen, viele internationale Künstler zeigte und der Straße etwas von einem Abenteuerspielplatz verlieh.
„KW, a history“. 496 Seiten, 44 Euro.
Das Jubiläum wird am 18. + 19. September gefeiert mit einem Veranstaltungs- und Performanceprogramm, Infos unter kw-berlin.de
Und das brachte den Kunst-Werken, die dank Unterstützung der Wohnungsbaugesellschaft Mitte eine auch von Verfall bedrohte Immobilie für sich nutzen konnten, den Vorwurf ein, die Vorhut einer Gentrifizierung zu sein, die mit kultureller Zwischennutzung ein runtergekommenes Gebiet aufwertete. Ein Vorwurf, den die Kunst-Werke mit Gesprächsrunden und in Ausstellungen aufgriffen.
In den ersten Jahren wurden die Gebäude auch von Künstlern als Atelier genutzt, Rainer Görß, Mitglied der Autoperformationsartisten, arbeitete dort und Sabine Hornig. Später beanspruchte der gewachsene Apparat der Institution immer mehr Räume. Mit der Professionalisierung ging etwas von der Offenheit verloren, die in den ersten Jahren auch die Anziehungskraft der Kunst-Werke ausmachte.
Anfangs konnten viele junge Kuratoren an den Kunst-Werken andocken, sie wurden zu einem Ort von Diskurs und Party. Doch das Ausstellungsmachen blieb das Kerngeschäft.
Das Unheimliche und das Abjekte
Vor der Sanierung und dem Bau einer neuen Ausstellungshalle führte der Weg der Besucher einmal auch in den Dachstuhl. Da saß eine Puppe, die um Hilfe rief. Eigentlich nur geknäulter Stoff, der einen Kopf markierte, mit einem aufprojizierten Gesicht, eine Zusammenarbeit von Tony Oursler und Mike Kelley. Sie ist mir wohl deshalb so präsent in der Erinnerung, weil das Unheimliche und das Abjekte, das mit seinen Erzählungen vom Bösen und Grausamen so recht in keinen der Kunstdiskurse passen wollte, auch in späteren Ausstellungen eine große Bühne fand.
2001 zeigten die Kunst-Werke die düsteren Illustrationen von Henry Darger, die erst nach dessen Tod 1973 entdeckt worden waren. Sie erzählten in einem erschreckenden, aber auch sorgfältig und liebevoll gezeichnetem Universum vom Martyrium von Kindern.
2007 präsentierte die Direktorin Susanne Pfeffer den Amerikaner Joe Coleman, der seine Ausstellung wie ein Gruselkabinett inszeniert hatte, mit vielen Mördern als Protagonisten. Sowohl Darger als auch Coleman erlebten an den Kunst-Werken ihre erste größere Ausstellung in Deutschland.
Ende des Kalten Krieges
Das Scheunenviertels in Ostberlin, das gegen Ende der DDR baulich in einem sehr schlechten Zustand war, veränderte sich in den 1990er Jahre in hoher Geschwindigkeit, die Kunst-Werke waren Teil davon. Die Reflexion vom Ende des Kalten Krieges und den sozialen Brüchen der Nachwendezeit stand inhaltlich auch auf der Agenda.
In großartigen Fotografien und suggestiven Videos 2002 auch zu sehen in einer Ausstellung der britischen Künstlerinnen Jane & Louise Wilson, die in Kasachstan, auf dem Weltraumbahnhof Baikonur recherchiert hatten. Ihre Bilder erzählten allein visuell vom Stillstand und Verfall in einem Gelände, das zuvor für technologischen Fortschritt und die Eroberung des Weltraums gestanden hatte. Eine Requiem auf eine Weltmacht, die ihre Selbstgewissheit für einen Moment verloren hatte.
Zum Jubiläum geben die KW eine 496 Seiten dicke Publikation heraus, mit einer Chronik und einer Analyse ihrer Geschichte, mit Essays unter anderem von Susanne von Falkenhausen über die Berlin Biennalen und von Jenny Dirksen, die ein Archiv der KW erarbeitet hat. Beide gehen kritisch mit den Gründungslegenden und dem Erfolg der KW um. Wer die Anfänge miterlebt hat, wird gerne darin blättern und sich erinnern.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?