26. Lesbisch-schwules Stadtfest Berlin: Die Problemzone beginnt um 17 Uhr
Im Hinblick auf das lesbisch-schwule Stadtfest an diesem Wochenende beklagen Vereine Rassismus und Behindertenfeindlichkeit.
Kein Stadtfest ohne Grenzüberschreitungen – das gilt auch für das lesbisch-schwule Stadtfest am Nollendorfplatz, das am Wochenende zum 26. Mal stattfindet. Die Lesbenberatung Berlin mit ihrem Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich LesMigraS und der Verein für LGBTQ* of Colour GLADT beklagen rassistische, behindertenfeindliche, trans*feindliche und sexistische Erfahrungen, die sie und ihre Klient*innen auf bisherigen lesbisch-schwulen Stadtfesten gemacht haben. Beide Vereine setzen sich gegen die Mehrfachdiskriminierung von LGBT-Personen ein, die schwarz, of Color mit oder ohne Migrationsgeschichte sind. Die Lesbenberatung ist schon von Beginn an mit einem Stand vor Ort.
GLADT-Mitarbeiterin Rafia Harzer sagt: „2016 war es besonders heftig. Die Mitarbeiter*innen und Besucher*innen wurden angegriffen und rassistisch, behindertenfeindlich, trans*feindlich und sexistisch beleidigt.“ Rollstuhlfahrer*innen seien von Unbekannten angefasst und gefragt worden, wie es dazu gekommen sei, dass sie im Rollstuhl sitzen. Schwarzen Menschen sei in die Haare gefasst, Muslim*innen aufgefordert worden, sich gegen islamistische Attentate zu positionieren. Trans*Personen seien wiederholt mit falschen Pronomen angesprochen worden.
Pum Kommattam von LesMigraS kommentiert: „Ich denke, alle gesamtgesellschaftlichen Probleme spiegeln sich auch bei Veranstaltungen wie dem Stadtfest wieder. Das sind gängige Erfahrungen, nicht anders als die, die ich im Schwimmbad oder im Park erlebe.“ Daran könne der Veranstalter nichts ändern. Rassismus und Behindertenfeindlichkeit machen eben auch vor schwul-lesbischen Veranstaltungen keinen Halt.
Doch sowohl in der Reaktion auf solche Erfahrungen wie auch in der Prävention fühlen sich die Vereine vom Veranstalter alleine gelassen. „Die Verantwortung für Antidiskriminierungsarbeit auf dem Stadtfest liegt bei uns“, kritisiert Harzer. Der Regenbogenfonds habe sie mit ihren Klagen an die Security verwiesen. „Die kann darauf achten, dass keine Überfälle passieren. Aber das reicht nicht aus, um einen Schutzraum für Menschen anzubieten, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind. Das braucht intersektional geschultes Personal.“ Sie fordert eine aktive Antidiskriminierungsarbeit des Veranstalters.
Ein Ruhezelt
Mit ihrer Expertise in Mehrfachdiskriminierung haben sich LesMigraS und GLADT bisher selbst dafür engagiert, das Stadtfest für alle Menschen ansprechender zu gestalten. Die Lesbenberatung Berlin verantwortet eine der offiziellen SOS-Kontaktnummern des Stadtfests und hat sich für die FrauenLesbenTrans*-Bühne stark gemacht. Ab 2010 bot sie mit GLADT ein Ruhezelt an, das ihnen der Regenbogenfonds zur Verfügung stellte. Dort hatten Besucher*innen die Möglichkeit, sich auszuruhen, aber auch Grenzüberschreitungen zu melden und sich beraten zu lassen.
Der Pride Month findet in fast allen Ländern der Welt statt. Politische und Festveranstaltungen sollen auf die Diskriminierung hinweisen, die Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter-Personen erleben. Das Finale des Pride Months ist die Pride Parade am Christopher Street Day (CSD). In Berlin findet er am 28. Juli statt.
Das lesbisch-schwule Stadtfest ist neben dem CSD eine der größten Veranstaltungen im Berliner Pride Month. Über 350.000 Menschen werden am 21./22. Juli am Schöneberger Nollendorfplatz erwartet. Zum 26. Mal richtet der Regenbogenfonds der schwulen Wirte das Fest aus. Neben Info- und Verkaufsständen gibt es Programm auf sechs Bühnen. In der jeweiligen Infobroschüre steht seit Jahren, dass neben der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung auch Rassismus und das Tragen von rechtsextremen Symbolen explizit nicht geduldet werden.
Mehrfachdiskriminierung und Intersektionalität sind wichtige Stichworte im LGBT-Kontext geworden. LGBT bzw. Homo- und Trans*phobie werden dabei in der Verwobenheit mit weiteren Positionierungen und Diskriminierungsformen analysiert. Der erweiterte Blick hilft, die Erfahrungen einer weißen lesbischen Frau im Rollstuhl oder die eines schwarzen schwulen Mannes besser zu verstehen. (taz)
Umgesetzt wurde das Zelt im Rahmen des Netzwerks „Miteinander – Füreinander. Diskriminierungsfreie Szenen für alle“. Das Netzwerk war von GLADT ins Leben gerufen worden, um Diskriminierung innerhalb der queeren Szene zu thematisieren. Das Zelt richtete sich an Schwarze und Personen of Color, Behinderte, Frauen, Trans* und Menschen, die als Migrant*innen wahrgenommen werden.
Doch nach den Grenzüberschreitungen beim Stadtfest 2016 wollten die Mitarbeiter*innen sich dem nicht noch einmal aussetzen. 2017 boten sie daher kein Ruhezelt mehr an, GLADT blieb dem Stadtfest gänzlich fern. Das kann sich der Verein allerdings dauerhaft nicht leisten: Denn von Vereinen, die vom Senat gefördert werden, wird die Teilnahme erwartet.
Für dieses Jahr wurde der Lesbenberatung und GLADT ausnahmsweise gestattet, nicht bis Mitternacht am Stand zu stehen. „Gerade die alkoholisierte Party-Atmosphäre am Abend ist schwierig“, erklärt Projektleiterin von LesMigraS, Saideh Saadat-Lendle, und fügt hinzu: „Ab 17 Uhr muss man eigentlich in Gruppen unterwegs sein. Es ist einfach kein sicherer Ort für alle.“
Gemeinsam eine schöne Zeit
Olaf Möller, Mitglied des Regenbogenfonds, nimmt die Erfahrungsberichte der Vereine ernst. Weiteren Handlungsbedarf für die Organisation des Stadtfests sieht er aber nicht: „Das Stadtfest steht schon von seiner Anlage für Inklusion und Berücksichtigung von Minderheiten, es wird ja von Minderheiten l-s (lesbisch-schwul, Anm. der Redaktion) organisiert. Ich finde, das ist uns bisher vorzüglich gelungen, sonst würden sich dort ja auch nicht jedes Jahr 400.000 Menschen begegnen und gemeinsam eine schöne Zeit verleben.“
LesMigraS und GLADT pochen dennoch darauf, dass LGBT nicht die einzige Positionierung von Menschen sei. Weiße Schwule und Lesben seien nicht davor gewahrt, sich rassistisch oder behindertenfeindlich zu äußern. Für die Organisation des lesbisch-schwulen Stadtfestes schlussfolgert Kommattam: „Es reicht nicht, sich Inklusion nur auf die Fahne zu schreiben. Intersektionalität muss sich in selbstkritischem Handeln äußern.“
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