24 Tote nach Kopten-Protest in Kairo: Schockierte Reaktionen in Europa
24 Menschen starben bei einer Demo koptischer Christen in Kairo, mehr als 174 wurden verletzt. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton fordert Ermittlungen.
KAIRO afp/dpa/dapd | Die Gewalt bei Protesten koptischer Christen in Ägypten stößt in der Europäischen Union auf Besorgnis. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zeigte sich "sehr besorgt angesichts der großen Zahl von Toten und Verletzten unter den koptischen Christen". Sie forderte Ermittlungen, um die Schuldigen vor Gericht zu bringen. "Die Religionsfreiheit ist ein universelles Menschenrecht, das überall und für alle geschützt werden muss", sagte Ashton.
Bei einer Demonstration von koptischen Christen in Kairo sind am Sonntagabend laut Angaben des ägyptischen Staatsfernsehens 24 Menschen ums Leben gekommen. Bei den Zusammenstößen zwischen Kopten, Muslimen und Sicherheitskräften seien zudem mehr als 174 Menschen verletzt worden. Es waren die schwersten Ausschreitungen in Ägypten seit dem Sturz von Ex-Präsident Husni Mubarak, Regierungschef Essam Scharaf sagte, das Land sei "in Gefahr".
Die ägyptischen Behörden haben nach den schweren Ausschreitungen die Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt deutlich erhöht. Wie das Staatsfernsehen am Montag berichtete, wurden aus Angst vor weiteren Unruhen zusätzliche Soldaten vor dem Parlamentsgebäude sowie vor anderen zentralen Einrichtungen stationiert. Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur MENA wurden Dutzende Menschen wegen des Verdachts auf "Anstiftung zu Chaos" festgenommen. In einer koptischen Kirche in der Innenstadt sollte im Laufe des Tages eine Trauerfeier für einige der getöteten Demonstranten stattfinden.
Mehrere tausend koptische Christen hatten am Sonntag Abend zunächst friedlich gegen einen Brandanschlag auf eine Kirche in der Region Assuan demonstiert. Kurz nachdem der Demonstrationszug das Gebäude des staatlichen Fernsehens erreicht hatte, kam es aus zunächst ungeklärter Ursache zu ersten Zusammenstößen.
Nach Schilderungen des ägyptischen Fernsehens schossen zuerst Demonstranten auf Soldaten und bewarfen sie mit Steinen. Außerdem seien mehrere Autos und Busse in Brand gesetzt worden. Dagegen berichteten koptische Demonstrationsteilnehmer den Reportern der Webseite "almasryalyoum", dass zunächst sie beschossen worden seien, als ihr Marsch den Platz vor dem Fernsehgebäude erreicht habe.
Demonstranten warfen Steine auf Polizisten und Soldaten, die das Gebäude bewachten, und setzten Autos in Brand. Die Sicherheitskräfte gaben Schüsse in die Luft ab und setzten Tränengas ein, um die Menge auseinanderzutreiben. Zwei Panzerspähwagen der Armee seien mitten in die Menge gefahren, berichteten Augenzeugen. Dabei seien mehrere Demonstranten überrollt und getötet worden.
Ein Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AFP berichtet, 17 Leichen in einem Krankenhaus gesehen zu haben. Einem koptischen Priester zufolge starben allein fünf Demonstranten, als sie von einem Armeefahrzeug überfahren wurden. Weitere Opfer wiesen Schusswunden auf.
Sorge in Europa
"Das sind wirklich Zustände, die wir in gar keiner Weise akzeptieren können", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) am Montag in Luxemburg vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen.
Italiens Außenminister Franco Frattini sprach von "schweren Gewalttaten gegen Christen, die uns sehr besorgt machen". Er forderte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Er hoffe, dass sich die neue Regierung des Landes "energischer" auf die Ereignisse reagiere als die frühere Mubarak-Führung.
Die spanische Außenministerin Trinidad Jiménez sprach von einer "beunruhigenden Lage". Ihr britischer Kollege William Hague bezeichnete sich als "alarmiert". Westerwelle forderte die Regierung in Kairo zum Eingreifen auf: "Es gibt nur einen Weg zur Demokratie und der führt über Pluralität und religiöse Toleranz. Auch die Christen in Ägypten haben das Recht und müssen das Recht haben, ihre Religion frei und ungehindert ausüben zu können." Die ägyptischen Behörden müssten dafür sorgen, "dass auch die religiöse Glaubensausübung geschützt wird".
"Nieder mit dem Marschall"
Auf ihrem Demonstrationszug quer durch die Stadt hatten die Kopten Kreuze geschwenkt und "Nieder mit dem Marschall" skandiert. Als "Marschall" wird umgangsprachlich Armeechef Hussein Tantawi bezeichnet, den derzeitigen Leiter des regierenden Militärrats.
Später gingen Kopten und Muslime in der Nähe des Krankenhauses im Stadtzentrum, in das die Toten und Verletzten der abendlichen Ausschreitungen gebracht worden waren, mit Stöcken und Steinen aufeinander los. In einer benachbarten Straße standen mehrere Autos in Flammen. Einige Demonstranten zapften Benzin aus parkenden Autos, um Brandsätze daraus zu basteln.
Die Behörden verhängten eine nächtliche Ausgangssperre über Teile der Hauptstadt. Die fünfstündige Ausgangssperre galt bis Montagmorgen sieben Uhr, wie das Staatsfernsehen berichtete. Betroffen seien die Viertel von Maspero, wo das Gebäude des staatlichen Fernsehens liegt, bis zum Abassija-Platz in der Nähe der koptischen Kathedrale. Am Montag wurden nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur MENA dutzende Menschen festgenommen, denen "Anstiftung zu Chaos" vorgeworfen wird. Ob es sich bei den Festgenommenen um Christen oder Muslime handelt, war zunächst nicht bekannt.
Ägyptens amtierender Regierungschef Scharaf forderte Christen und Muslime zu "Zurückhaltung" auf. Es handele sich jedoch nicht um religiöse Auseinandersetzungen, sondern um den Versuch, "Chaos zu verursachen". Das Ziel des "Komplotts" sei, die für Ende November geplanten Wahlen zu behindern. Scharaf steht der nach dem Sturz Mubaraks im Februar eingesetzten Übergangsregierung vor, die eigentliche Macht liegt jedoch beim Militärrat.
Bereits vor eine Woche waren hunderte koptische Christen nach der Brandstiftung an der Kirche in Assuan auf die Straße gegangen. Sie war von jungen Muslimen in Brand gesetzt worden, nachdem der örtliche Gouverneur erklärt hätte, das Gotteshaus sei ohne behördliche Zustimmung errichtet worden.
Seit Monaten mehren sich in Ägypten die Angriffe auf die Kopten, die bis zu zehn Prozent der Bevölkerung stellen. Sie klagen seit langem über Diskriminierung und warnen, dass seit Mubaraks Sturz der Einfluss der Islamisten gestiegen sei.
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