: 23 Sekunden Hochstimmung
■ Blau-Weiß 90 - Saarbrücken 1:1 / 5.773 zahlende Zuschauer / Werbestrategie für das Mariendorfer Mauerblümchen / Benefizspiel für die Opfer von Ramstein?
Sie sind das spielerisch stärkste Team ihrer Liga, sagen Experten. Sie bieten attraktiven Offensiv-Fußball, sind in der siebten Partie hintereinander ungeschlagen. 10:6 Punkte, 11:7 Tore, Platz vier - eigentlich sollte bei Blau-Weiß 90 Hochstimmung über den gelungenen Saisonauftakt herrschen. Doch der Schein trügt. Denn erstens: Beim 1:1 Unentschieden gegen Saarbrücken war das Tor der Gäste nicht breit und hoch genug, so daß viele Bälle Beute der Balljungen wurden. Und zweitens: Während Hertha BSC den größten Mist zusammenkicken darf, laufen den Mariendorfern schon beim ersten Fehlpaß die Fans in Scharen davon. Sportlich läßt sich wenig verbessern. Trainer Bernd Hoss weiß das. Er hat keine durchschlagkräftigen Stürmer („Wenn die das Tor nicht treffen, was kann ich denn dafür?“), die Abwehr macht trotz Neuzugang Levy (CSSR) selten einen sattelfesten Eindruck, lediglich im Mittelfeld läuft das Leder rund. Typisch das Spiel gegen Saarbrücken. Durch Sturm und Drang in Führung gegangen - Gartmann ließ dem überragenden Gäste-Keeper Wahlen keine Chance (17.Minute) - währte die Freude genau 23 Sekunden. Im direkten Gegenzug narrte der Ghanaer Yeboah gleich fünf Berliner Gegenspieler und traf ins lange Eck. Das war's denn auch schon, an Toren. Nicht jedoch an Möglichkeiten. Insbesondere Stefan Dinauer, Torjäger der Blau-Weißen mit Dauerladehemmung, versiebte reihenweise beste Vorlagen.
Dem schlechten Image des Mariendorfer Mauerblümchens nimmt sich inzwischen eine Werbeagentur an. Ein Stadionprogramm im besten Boulevardstil soll über die mäßige Fußballkost hinwegtrösten. Da tippen Promies Ergebnisse, ein Spieler steht am Telefon Rede und Antwort und Freunde des Vereins werden gebeten, ein Plakat an ihrem Arbeitsplatz aufzuhängen. Feste werden veranstaltet, eine Radiosendung moderiert, Schulklassen mit Schals, Mützen und Autogrammen versorgt. Dazu paßt auch eine Ankündigung von Präsident Kurzawa. Er will den Erzrivalen Hertha BSC überreden, ein Benefizspiel zugunsten der Opfer von Ramstein zu veranstalten. Lobenswert. Wie lautet noch die alte Werbeweisheit? Nicht das Produkt, die Verpackung ist wichtig. Stimmt.
taz
Blau-Weiß: Mager - Levy - Holzer, Schlegel - Gaedke, Stark, Gartmann, Clarke - Dinauer, Adler (70. Wilbois), Schlumberger.
Saarbrücken: Wahlen - Schlegel - Jelev, Steiner, Nushöhr Knoll, Hach, Geyer Szesni (74. Fuhl) - Yeboah, Ruof (63.Dum).
Schiedsrichter: Retzmann; Tore: 1:0 Gartmann (17.), 1:1 Yeboah (17.)
Holger Schacht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen