20 Jahre US-Dollar auf Kuba: Zwei Währungen, zwei Welten
Die Einführung des US-Dollars vor 20 Jahren hat in Kuba soziale Gräben aufgerissen. Die Ärmsten brauchen Unterstützung. Aurora Valestero sorgt für sie.
CÁRDENAS taz | Geschickt fährt Aurora Valestero mit der Klinge über das stoppelige Kinn von Alberto Franchi. Der 54-jährige ehemaliger Agrartechniker ist nach einem Hirnschlag auf Hilfe angewiesen und gehört zu den Patienten der 51-jährigen Frau, die für die protestantische Kirchengemeinde in Cárdenas arbeitet.
Die Hafenstadt im Nordwesten der Insel liegt nur ein gutes Dutzend Kilometer von Varadero, Kubas wichtigstem Tourismusort, entfernt. Früher war Cárdenas eine lebendige Industriestadt. An den Kais wurde Zucker verladen, es gab mehrere Werften, eine Waggonfabrik und eine große Destillerie. „Heute gibt es hier kaum mehr Arbeit. Die jungen Leute wandern nach Varadero oder gleich nach Havanna ab“, erzählt Aurora Valestero und reinigt die Wangen von Alberto Franchi von Rasierschaumresten.
Seit einigen Jahren arbeitet die diplomierte Ökonomin für die Kirche. Diese unterhält in Cárdenas ein großes Zentrum, eine eigene Farm und eben den Pflegedienst, der bei Alberto Franchi täglich nach dem Rechten sieht. Franchi ist infolge eines Hirnschlags behindert. Er lebt allein in der kleinen Parterrewohnung im Stadtzentrum. Sein 22-jähriger Sohn ist nach Havanna umgezogen, und eine Frau gibt es in seinem Leben auch nicht mehr.
Bruttoinlandsprodukt nach Kaufkraftparität: 121 Milliarden US-Dollar. Weltranglistenplatz 69
Wirtschaftswachstum: 3,1 Prozent, Weltranglistenplatz 105
Bruttoinlandsprodukt nach Bereichen: Landwirtschaft 3,8 Prozent, Industrie 22,2 Prozent, Dienstleistungen 74 Prozent
Erwerbstätige: 5,18 Millionen, davon Staatssektor 72,3 Prozent, nichtstaatlicher Sektor 27,7 Prozent
Erwerbstätige nach Bereichen: Landwirtschaft 19,7 Prozent, Industrie 17,1 Prozent, Dienstleistungen 63,2 Prozent
Arbeitslosenquote: 3,8 Prozent, Weltranglistenplatz 29
Menschen unter der Armutsgrenze: keine Angaben
(Quelle: CIA-World Factbook auf Grundlage offizieller kubanischer Angaben für 2012.)
120 kubanische Peso Rente bekommt Franchi im Monat. „Die reicht hinten und vorne nicht, denn allein für Strom muss er rund 30 Peso ausgeben und ein normales Mittagessen kostet 25 Peso in einem einfachen Restaurant. Ohne die Hilfe der Kirche wäre er aufgeschmissen“, sagt die Pflegerin.
Der CUC wurde 2004 eingeführt
Sie ist jeden Tag mit dem Fahrrad in Cárdenas unterwegs und versorgt gemeinsam mit einer Kollegin 120 Hilfsbedürftige. Bei manchen fahren sie täglich vorbei, bei anderen nur einmal die Woche. Aber alle erhalten gegen Mittag ihren Henkelmann, in dem das Mittagessen aus der Kirchenkantine angeliefert wird. „Ohne geht es nicht, denn die Lebenshaltungskosten kennen in Kuba derzeit nur eine Richtung und für immer mehr Produkte werden Devisen verlangt“, sagt Aurora Valestero. Seife, Rasierklingen, Deodorant oder auch Milchpulver sind oft nur in Devisensupermärkten des Staates zu haben. Dort zählt nur der CUC, der nur in Kuba gültige Devisenpeso.
Diese Währung wurde 2004 eingeführt, um den als Hartwährung kursierenden US-Dollar abzulösen. „Die Legalisierung des US-Dollars im Sommer 1993 war traumatisch. Es gab kaum mehr etwas zu kaufen, der Schwarzmarktkurs des US-Dollars pendelte um die 140 Peso. Das war fast ein Monatslohn“, erinnert sich die ehemalige Ökonomin.
Damals stand Kuba kurz vor der Pleite und so stellte sich Staatschef Fidel Castro am 26. Juli 1993, dem Nationalfeiertag, vor die Mikrofone und gab bekannt, dass der Besitz von US-Dollar fortan legal sei. Die Maßnahme sei unumgänglich, um die Errungenschaften der Revolution zu bewahren, erklärte er kleinlaut.
Seine Regierung benötigte Devisen, denn mit der Auflösung des sozialistischen Staatenblocks hatte die Insel ihre Handelspartner, ihre Lieferanten und auch ihre Kreditgeber verloren. Überlebenswichtig war es nun, die auf der Insel kursierenden US-Dollar abzuschöpfen, um damit Nahrungsmittel und Erdöl auf dem Weltmarkt einkaufen zu können. Die Rechnung ging auf, die Staatspleite konnte gerade so abgewendet werden.
Auroras Mann ist nach Miami geflohen
Doch den Preis dafür zahlen die Kubaner heute noch. Denn seither leben sie mit einer starken und einer schwachen Währung. „Die schwache ist leider die, in der die meisten Kubaner entlohnt und auch die Renten ausgezahlt werden“, sagt Aurora.
Sie ist inzwischen bei Orestes Muñiz angekommen, der mit seiner Schwester Irma in einer einfachen Neubauwohnung wohnt. „Wer heute in Kuba gut leben will, braucht entweder Verwandte im Ausland oder hat beste Kontakte nach oben“, erzählt der 67-jährige ehemalige Lehrer. Er hat weder das eine noch das andere. Seine Ehe blieb kinderlos und Verwandte im Ausland hat der Mann mit der hohen, von weißen Haaren umrandeten Stirn nicht. Ein Dilemma, denn monatliche Geldsendungen halten viele Familien in der Nachbarschaft über Wasser. „Dabei hat die hellhäutige Bevölkerung die Nase vorn“, sagt die blasse Aurora Valestero lachend.
Ihre Großeltern kamen aus Spanien und ihr Exmann hat die Reise über den Golf von Florida gewagt und lebt seit 2007 in Miami. Doch von ihm und auch von der ihr unbekannten Verwandtschaft in Spanien hat die Frau mit den hochgesteckten blonden Haaren nichts zu erwarten. „Ich muss mit dem auskommen, was die Kirche mir zahlt, und zum Glück erhalte ich einen kleinen Teil meines Lohns in CUC.“
Nichts Ungewöhnliches in Kuba, wo seit der Einführung der doppelten Währung Prämien und Anreize in Devisen durchaus üblich sind. Gerade weil die Kaufkraft der nationalen Währung seit der Krise Mitte der neunziger Jahre nie wieder das Niveau vor der Krise erreicht hat.
Das belegen auch die Studien kubanischer Sozialwissenschaftler. Die bestätigen auch, dass sich das Gesellschaftsgefüge in den letzten Jahren merklich verändert hat. Zu den Verlierern der anhaltenden Wirtschaftskrise und der doppelten Währung zählen auch die, die einst von der Revolution überproportional profitierten. Farbige Lehrer wie Orestes Muñiz oder engagierte Frauen wie Aurora Valestero. Die ist schon wieder auf dem Weg zu ihren nächsten Patienten. Und die Zahl der Bedürftigen wird nicht weniger.
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