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20 Jahre „Eine himmlische Familie“Man guckte und hasste sie

Vor 20 Jahren startete die Evangelikalen-Soap „Eine himmlische Familie“. Sie wollte vor allem Teenager vor Sex und Drogen warnen.

Ach du lieber Himmel Foto: imago/ZUMA Press

Wer über Sex, Familie und Selbstbestimmung grübeln will, der kennt schroffe TV-Reihen wie „Six Feet Under“. Wem die Kraft zum Grübeln fehlte, der landete von 1999 bis 2007 oft eher im Nachmittagsprogramm von Vox – bei Pastor Eric, Hausfrau Annie, Hund Happy und fünf (später sieben) bevormundeten Kindern. „7th Heaven“ („Eine himmlische Familie“) war in den späten 90ern eine der beliebtesten Jugendserien (11 Staffeln, 243 Folgen) und gleichzeitig so flau und oberpädagogisch wie kaum eine andere. Am 26. August 1996 lief ihre erste Folge im US-Fernsehen.

Seichte Kost, trotz großer Schwächen gern gesehen, heißt in den USA „guilty pleasure“. Für „7th Heaven“ greift ein anderer Begriff, 2013 von der Fernsehkritikerin des New Yorker lanciert: „hate-watching“. Damit meint Emily Nussbaum Serien, „so spektakulär schlecht, dass man viel aus ihnen lernen kann“ über Hybris, Arroganz, misslungene Figuren: „Heroes“, „True Blood“ und „Glee“ – TV-Erfolge, deren Publikum vor allem aus angewiderten Beobachtern besteht. Kein „Fandom“ mehr, sondern „Hatedom“.

Genau so verhält es sich mit „Einer himmlischen Familie“: Mit 17 versteckt Sohn Matt den Joint eines Kumpels. Er wird ertappt, und die komplette Familie weint oder schimpft. Mit 18 trinkt Tochter Mary beim Babysitten ein Bier. Dann stehlen ihre Geschwister Geld, um ihr beim Tilgen eines Kredits zu helfen. Die Eltern sind so angewidert, dass sie Mary verstoßen: Sie muss nach Buffalo zu strengen Großeltern.

Tochter Lucy heiratet mit 20, mit 22 wird sie Mutter und, um ihren Vater stolz zu machen, Pastorin. Sohn Simon hat mit 17, 18 vorehelichen Sex. Alle sind enttäuscht. Und Tochter Ruthie, etwa drei Jahre jünger, verspricht ihren Brüdern, bis zur Hochzeitsnacht zu warten.

Für Hate-Watcher warfen solche Plots Fragen auf: Ticken gläubige Familien so? Sind das bis heute gültige „amerikanische“ Werte? Sollen wir die Strafmaßnahmen des Pastors angemessen finden, das ständige „Mom? Dad? Wir lieben euch!“ herzerwärmend, die freudlosen Kinderdarsteller süß? Und all die fadenscheinigen „Lösungen“ pädagogisch wertvoll?

Stürme im christlich-frommen Wasserglas

Ab 1972 wollte das US-Nachmittagsprogramm Teenager vor Drogen, Sex, Gefahren im Alltag warnen: „After School Specials“ waren melodramatische TV-Filme – didaktisch, hysterisch, oft unfreiwillig komisch. Ab 1990, in den ersten beiden Staffeln von „Beverly Hills, 90210“, wollte Produzent Aaron Spelling dieselben Probleme abhaken, im selben Stil: Essstörungen, Mobbing, Alkoholismus.

„7th Heaven“ zeigt Stürme im christlich-frommen Wasserglas, meist schon am Ende jeder Folge überstanden. Abtreibung ist hier keine Option. Lesben und Schwule fehlen. Fast alle Gastrollen (Nachbarn, Mitschüler) sind „schlechter Einfluss“ und werden vom Pastor getadelt, in ungefragten Standpauken und Predigten. Ethik („Sei kein Rassist!“), Moralisieren („Raucher sind kein Umgang!“) und Bigotterie („Gute Menschen gehen in die Kirche!“) vermischen sich dabei zu einem perfiden, oft grandios unlogischem Brei.

Die Regeln der Fa­milie Camden und damit der Serie ­waren so einfach wie eindimensional: Abtreibung ist keine Option. Lesben und Schwule fehlen. Fast alle Gastrollen sind schlechter Einfluss

„Sex outside of marriage is filled with confusion, guilt and even pain“, warnt Pastor Eric. Niemand widerspricht. Doch wie viele Zuschauer wollten durch den Bildschirm greifen, ihn schütteln? Darsteller Stephen Collins gab 2014 zu, Mädchen zwischen 11 und 14 sexuell belästigt zu haben. Er klang dabei so selbstgerecht wie seine Rolle: Er sei nicht pädophil – nur Exhibitionist. Sätze, die beruhigen sollen. Aber, wie so viele Argumente aus der Serie, vor allem verstörend und verärgernd.

Popkultur wird populär, wenn Figuren Widersprüche bündeln: Stand Britney Spears für Keuschheit – oder, im Gegenteil, für Verruchtheit? Zu Spears’ größten Zeiten zeigte „7th Heaven“ Teenager, die viel zu früh über Ehe und Kinder sprachen: weil sie Sex wollten, so schnell wie möglich. Britney-Epigonen wie Ashlee Simpson, Haylie Duff hatten jahrelang Gastrollen. Fromme Zuschauer vermissten Theologie und fanden Plots wie „Mary will küssen üben, mit ihrem Bruder“ unerträglich. Die Produzenten waren keine Evangelikalen. Sondern ebenjener Aaron Spelling, der große US-Erfolge produziert hat: „Denver-Clan“, „Beverly Hills“, „Charmed“.

Jede Folge „Tom & Jerry“ weckt kurz die Hoffnung, dass die gehässige Maus gefressen wird. Jede Szene „7th Heaven“ ließ Millionen Hate-Watcher hoffen, dass Mommy und Daddy merken: „Wir sind Despoten. Sieben Kinder hassen uns – zu Recht.“ Liebe kam in dieser Serie kaum vor. Nur Dominanz, Kontrolle, Argwohn, Schuld.

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