piwik no script img

■ 1964 segnete der renommierte Historiker Hans Mommsen die These ab, van der Lubbe sei für den Brand verantwortlich. Dabei machte er FehlerHans Mommsen und der Alleintäter

Nach Erscheinen seiner Spiegel- Serie und des darauf fußenden Buches 1962 war die Alleintäterthese von Fritz Tobias heftig umstritten. Erst ein Gutachten des Historikers Hans Mommsen, erstellt im Auftrag des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, verhalf Tobias zum wissenschaftlichen Durchbruch (und war auch für Mommsens Karriere nicht unwichtig).

Allerdings stehen Mommsens Resultate, die er 1964 in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte veröffentlichte, teilweise im Widerspruch zu den Prozeßprotokollen. Anhand dieser Akten lassen sich ihm zahlreiche Fehler nachweisen. Einige seien hier genannt:

* Mommsen übernimmt Tobias' Behauptung, nach der die Gutachter, die eine Brandstiftung durch einen einzelnen Täter nicht für möglich hielten, sich geirrt hätten. Statt dessen spekuliert er ohne jeden Versuch einer wissenschaftlichen Beweisführung, der Plenarsaal des Reichstags habe wie ein großer Kamin gewirkt und dadurch die Ausbreitung des Feuers in weniger als 15 Minuten ermöglicht.

* Der damalige Hausinspektor des Gebäudes, Alexander Scranowitz, hatte in der Anfangsphase des Brandes in den Plenarsaal gesehen und dort „auf den Regierungs- und Reichstagsbänken“ sowie auf den vorderen Abgeordnetensitzen 15 bis 20 mit ruhiger Flamme brennende Feuer wahrgenommen. Da diese Aussagen nicht in die Alleintäterthese paßte, erfand Tobias eine „Spiegelreflextheorie“. Danach soll es sich bei den beobachteten Feuern lediglich um Spiegelungen gehandelt haben, hervorgerufen durch die blank geputzten Pulte. Mommsen, dem diese eigenwillige Theorie dann doch zu gewagt erscheint, erklärt Scranowitz nicht weniger grundlos zum „phantasiebegabten“ und „Geltung heischenden Zeugen“.

* Um seine Theorie zu untermauern, unterstellt Tobias den Gutachtern eine Fülle von Widersprüchen und Fehlern, die weder in den Gutachen noch in den Aussagen vor Gericht aufgetreten sind. Ein besonderer Dorn im Auge ist Tobias der chemische Gutachter Wilhelm Schatz, der im Plenarsaal an verschiedenen Stellen Verbrennungsprodukte von Phosphor in Schwefelkohlenstoff festgestellt hatte.

Tobias dagegen behauptet – und Mommsen folgt ihm –, man habe „keine Spuren, keine Werkzeuge, keine Reste von Brennmaterial“ gefunden, welche die Annahme rechtfertigten, daß „van der Lubbe den Plenarsaal nur mit fremder Hilfe in Brand gesetzt haben könnte“. Mommsen wischt die Funde von Schatz mit der Behauptung vom Tisch, „Spuren von elementarem Phosphor und Schwefel“ seien schließlich „überall zu finden“.

Zur Widerlegung von Schatz führt Tobias lediglich den einzigen Sachverständigen ins Feld, der flüssige Brandmittel ausgeschlossen hatte, Prof. August Brüning. Mommsen, der auch hier Tobias folgt, verschweigt (oder weiß nicht), daß dieser gar keine eigenen Untersuchungen am Brandort gemacht hatte. Die ermittelnden Kriminalisten hatten ihm lediglich Material aus der Asservatenkammer zugeteilt – im wesentlichen Teppichreste von außerhalb des Plenarsaals.

* Der Behauptung Mommsens widersprechen auch die Beobachtungen des Berliner Oberbranddirektors Walter Gempp und des Feuerwehrdezernenten Wilhelm Ahrens über eine Gießspur von verschüttetem Brandmaterial im Bismarcksaal des Reichstages, bei der Gempp den Geruch von Benzin oder Benzol wahrgenommen haben will. Daß der Oberbranddirektor diese Aussage vor Gericht zurückgezogen habe, ist wieder eine frei erfundene Behauptung von Tobias, deren Unrichtigkeit Mommsen anhand der Verhandlungsprotokolle mühelos hätte feststellen können. Daraus geht hervor, daß Gempp seine „Geruchsempfindung“ vor Gericht explizit bestätigt hatte. * Vergessen hat Mommsen offenbar auch die vom Hausinspektor Scranowitz lange vor Eintreffen der Feuerwehr entdeckte Brandfackel, die in einem Klubsessel im Wandelgang steckte. Nach eigener Aussage hat Scranowitz die Fackel auf den Boden geworfen und ausgetreten.

Die Existenz dieser Fackel wurde auch von Gempp bestätigt, der sie kurze Zeit später unter dem betreffenden Klubsessel fand, unter den sie offenbar gerollt war. Vor Gericht hat Gempp diese Fackel als Brandfackel identifiziert, wie sie damals auch von der Feuerwehr benutzt wurde.

* Rätselhaft bleibt auch die Behauptung Mommsens, „alle wann auch immer verdächtigten Personen“ hätten sich durch ein „unbezweifelbares Alibi“ ausgewiesen oder in „keinerlei Zusammenhang mit dem Brand gestanden. Der zweifellos verdächtige SA-Führer Karl Ernst wurde gar nicht erst verhört.

* Mommsen schreibt: „Es ist wiederholt behauptet worden, die Spurensuche sei bewußt einseitig geführt worden und biete daher keinen Aufschluß über nationalsozialistishe Hintermänner. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen sind jedoch nicht behindert oder gesteuert worden.“ Von einer „bewußten Manipulation der Zeugen“ könne also „kaum gesprochen werden“.

Die Originalprotokolle des Prozesses beweisen das Gegenteil. So hat zum Beispiel der von Mommsen geschätzte Kriminalkommissar Rudolf Braschwitz nachweislich Beweismittel manipuliert (Stadtplan Berlins aus dem Besitz des Angeklagten Dimitroff), daneben wurde eine Reihe von offenkundig gekauften oder präparierten Zeugen präsentiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen