1933 bis 1945: Mit geliehener HJ-Uniform
■ Gad Beck
Mit zwölf hat er nach dem Duschen seinen Sportlehrer überrumpelt. Ihn überkam die Lust, er gab ihr nach und schmiegte sich an den jungen Lehrer, der die Einladung schweigend annahm. Zu Hause erzählte er der Mutter, was Schönes geschehen war. Gad Beck, 74 Jahre alt, erinnert sich heute belustigt an sein naives Geständnis. Die Mutter nahm's gelassen. Ob wohl die Seppl-Puppe im Bett des Sprößlings schuld war, überlegte sie noch, dann war die Sache erledigt. Es ging tolerant zu im Hause Beck.
Mit 19 Jahren stand Gad Beck in einer geliehenen HJ-Uniform vor dem Tor „seiner“ Jüdischen Schule im Scheunenviertel, die den Nazis nun als Sammellager für Juden diente. Drinnen saß Manfred, Gads erste große Liebe, mit seinen Eltern. Die beiden Brüder Manfreds wollten sich freiwillig in die Hände der Nazis begeben. „Das war die jüdische Auffassung: Hauptsache die Familie nicht trennen.“ Gad Beck schüttelt den Kopf, in seinem Blick liegen Bewunderung und Unverständnis.
Damals hat er einfach nur seinen Manfred retten wollen. Mit der geliehenen Uniform spazierte er beherzt ins Lager. Mit einer improvisierten Lügengeschichte bekam er Manfred tatsächlich frei. Doch dann erklärte der Geliebte, er könne seine Familie nicht im Stich lassen. Der sonst so fröhliche Erzähler Gad Beck hat plötzlich Tränen in den Augen. „Und dann ist er zurückgegangen.“
Gad Beck hat immer getan, was zu tun war. Als es nicht mehr anders ging, tauchte er unter. Aus seiner zionistischen Jugendgruppe wurde eine Organisation, die anderen Illegalen das Überleben ermöglichte, indem sie ihnen Essen brachte, Unterkünfte auftat oder falsche Papiere besorgte. Gad Becks Homosexualität machte seine Situation nicht schwieriger, im Gegenteil: „Ich war Jude, ich war Zionist – da war Schwulsein das Harmloseste. Aus diesem Zusammensein bezog ich meine Lebenskraft.“ Und aus dem Humor.
Wer Gad Beck zuhört oder seine „Erinnerungen“ liest, wird überrascht sein, wie beschwingt er erzählt, von gestern wie von heute. Sein Heute, das ist zum Beispiel sein tschechischer Lebensgefährte: „Wir lieben uns seit 21 Jahren.“ Und sein Hund: „Drei Jahre mit dieser Zwergpudeldame sind besser als 100 Jahre Schwulenbewegung.“
Kurz vor Ende des Krieges wurde Gad Beck verhaftet und mußte sein eigenes Todesurteil unterschreiben. Der mit der „Liquidierung“ beauftragte SS-Mann zerriß allerdings die Papiere, ließ die Zellentür offen und verschwand. Gad Becks „Erinnerungen 1923–1945“ enden mit dem Ausspruch eines russischen Soldaten: „Brieder, ihr sejd frej!“ Holger Wicht
Foto: Birgit Kleber
„Und Gad ging zu David“, edition dia, demnächst bei dtv
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